Lady Bird

„Lady Bird – is that your given name?“ – „Yes“
„Why is it in quotes?“ – „It is given to me by me“

Eine der größten Entdeckungen der Pubertät ist die eigene Individualität. Auf einmal merkt man: Mir gefallen Dinge nicht, die anderen toll finden. Oder schlimmer: Ich mag etwas, das andere nicht mögen. Doch so schrecklich sich diese plötzlich aufkeimenden Nöte und Konflikte auch anfühlen mögen – später denkt man meist gern und mit Wehmut an diese besondere Zeit zurück.

Es erscheint darum einfach, einen Spielfilm über das Erwachsenwerden zu machen. In wohl keinem anderen Genre ist das Identifikationspotential so hoch wie in Coming-of-Age-Filmen. Die Probleme der jugendlichen Protagonisten spiegeln die eigene Vergangenheit, man erinnert sich und wird melancholisch, weint vielleicht sogar, wenn man nochmal spürt, wie vor vielen Jahren für einen selbst etwas zu Ende gegangen ist. Exemplarisch hierfür steht der Kritikerliebling Boyhood aus dem Jahr 2014. Dort werden Reminiszenzen aus zwölf Jahren Kindheit aneinandergereiht und geben dem Zuschauer Raum, sich zu erinnern. Und wer denkt nicht gern an die Magie von Harry Potter zurück? Wer hört nicht gern noch einmal die Musik aus seiner Jugend? Doch so schön diese Nostalgie auch sein mag – sie geht nicht über das hinaus, was man empfindet, wenn man durch ein Fotoalbum blättert. Eine eigene Geschichte erzählt Boyhood nicht.

Das ist wohl das Problem, vor dem jeder Regisseur eines Coming-of-Age-Films steht: Wie lasse ich den Zuschauer melancholisch werden – und erzähle trotzdem von einer eigenständigen Figur und jener Individualität, die doch gerade in der Pubertät erwacht?

Auch die Handlung von „Lady Bird“ scheint zunächst beliebig: Christine, die sich selbst Lady Bird nennt, erlebt ihr letztes Jahr an ihrer High School in Sacramento. Sie plagt sich mit Akne, hat ihre ersten Liebschaften, träumt von der Zukunft, streitet sich mit ihren Eltern – so weit, so bekannt. Doch dieser Film zeigt bravourös, was Erzählen eigentlich ausmacht: Es ist nicht entscheidend, was erzählt wird, sondern wie man es erzählt. In „Lady Bird“ sind die Figuren nicht bloß leeren Hüllen, in die wir unsere Erinnerungen projizieren. In diesem Filme plagen die Charaktere eigene Ängste und Sehnsüchte, manchmal kennen wir sie, machmal nicht – aber der Film erzählt so davon, dass wir sie immer verstehen.

Das gilt vor allem für die titelgebende Protagonistin. Lady Bird ist nicht einfach nur eine sympathische Identifikationsfigur wie Mason es in Boyhood war, im Gegenteil: Lady Bird klaut im Supermarkt, Lady Bird hintergeht ihre beste Freundin, Lady Bird schämt sich für die Armut ihrer Eltern, kurzum: Sie ist eitel, egoistisch, selbstverliebt. Der Film zeigt eine eigenständige Figur, eine Siebzehnjährige, die ihre Individualität erst noch verorten und ihre Sehnsüchte und ihre Ängste zu ihrer Lebenswelt in Beziehung setzten muss. Dies konstituiert sich vor allem in dem schwelenden Konflikt mit ihrer Mutter: Lady Bird will der heimischen Provinz entfliehen und träumt trotz mieser Noten von einer Zukunft an den großen Universitäten Yale, Stanford oder Harvard – ihre herrische, aber fürsorgliche Mutter ist dagegen getrieben von ständiger Sorge um Schulden und die Arbeitslosigkeit ihres Mannes. Sie erwartet, dass ihre Tochter am biederen City-College studiert. Das Ringen dieser beiden starken Persönlichkeiten ist der Kern dieses Films  – und mündet gegen Ende in einer herzzerreißenden Sequenz, in der wir das Erwachsenwerden einer Individuums erleben.

Es ist bemerkenswert, dass dieser Film Greta Gerwigs erste Regiearbeit ist. Spielerisch leicht fügt sie die einzelnen Etappen und Momente des letzten Schuljahres zu einer bunten Collage zusammen, die ein pointiertes und oft humorvolles Bild von Lady Bird und ihrem Umfeld zeigt. Nicht zu unterschätzen ist hierbei die großartige Arbeit im Schneideraum. Immer wieder findet Gerwig kleine Motive, die den Zuschauer auch bei großen erzählerischen Sprüngen von einer Szene in die nächste geleiten. Dabei gelingt Gerwig auch eine wunderbare Liebeserklärung an ihrer Heimatstadt. In einer der schönsten Szenen des Films beobachten wir Mutter und Tochter abwechselnd beim Autofahren durch Sacramento – und erfahren, was die beiden trennt und vor allem, was sie verbindet.

Dieser Film erlaubt es uns, noch einmal zu erleben, wie es ist erwachsen zu werden. Nicht, indem wir uns einfach nur an uns selbst erinnern – sondern, indem wir beobachten dürfen, wie es für jemand anderen ist, nämlich für Lady Bird.

 

Bild: Pressematerial © Universal Pictures

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