If Beale Street Could Talk

Der Sog der Liebe verleitet zu einem gesellschaftlich akzeptierten Fanatismus. „If Beale Street Could Talk“ (2018) von Berry Jenkins verzichtet auf banale Gewaltdarstellungen und setzt stattdessen komplett auf meisterliche szenische Kompositionen um die Essenz der verschiedenen Anti-Rassismus Bewegungen der Geschichte zu destillieren – ihr Gewicht aus der Menschlichkeit zu extrahieren und Facetten jener in einer Präsentation der Liebe aufzuzeigen. Wäre da nicht ein großer Schwachpunkt, wäre ihm nach dem Oscar prämierten „Moonlight“ (2016) ein weiterer Geniestreich gelungen.

Empathie

Bei „If Beale Steet Could Talk“ (2018) handelt es sich um eine Buchverfilmung des gleichnamigen Werkes von James Baldwin. In seinen Werken erarbeitet Baldwin wesentlich Minderheitsidentitäten und analysiert die soziokulturelle Stellung jener Gruppen. So wird seinen Arbeiten unterstellt, dass jene durch den gekonnten Einsatz der Empathie eine profunde Bedeutung erlangen. „If Beale Street Could Talk“ (2018) von Berry Jenkins erarbeitet seine Bedeutungsstruktur ebenfalls mit jenem Mittel, tränkt sein Werk quasi in eine differenzierte Emotionspallette und erreicht damit mehr, als die bloße Darstellung von Rassismus und Gewalt jemals erreichen könnte.

„If Beale Street Could Talk“ (2018) beschreibt einen bitteren Kampf, der einem durchdringenden strukturellen Rassismus geschuldet von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Der Kampf wird in Harlem, NYC, der 70er Jahre ausgetragen. Alonzo Hunt (22), genannt Fonny, verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Holzarbeiten – bereits in frühen Kindertagen war er in einer unzertrennlichen Freundschaft mit der neunzehnjährigen Tish. Alonzo Hunt  wird trotz eines Alibis beschuldigt, eine Puertoricanerin vergewaltigt zu haben: Jene ist jedoch verschwunden. Dass ein Polizist behauptet, ihn gesehen zu haben, macht es zu einer augenscheinlich chancenlosen Angelegenheit für das junge, afroamerikanische Paar.

Familie

Den emotionalen Rahmen der Geschichte stellt die Familiengemeinschaft des jungen Paares. Charaktere werden differenziert ausgearbeitet und das gesamte Ensemble trägt mit feinen, zum Teil humoristischen, zum Teil hasswürdigen Aussagen und Verhaltensweisen zu einem gelungenen Ensemble bei. In Anbetracht der Art und Weise der Erzählung sind dabei eindeutige Pole in der Zeichnung der Persönlichkeit nicht störend – als würde man in Familienerzählungen von dem verrückten Opa oder der damenhaften Tante reden.

So existiert die fanatische Mutter Fonnys, welche die Schwangerschaft der jungen Frau verteufelt und darin eine Sünde sieht und in einer bedeutenden Szene das ungeborene Enkelkind verflucht. Da ist der grummige Vater der jungen Frau, der stets für ein Gläschen Whisky zu haben ist, einen flotten Spruch auf den Lippen hat und mit seiner Gestalt ein Gefühl ausstrahlt, dass alles gut werden würde. Oder die arroganten Schwestern von Fonny, die aus ihrer Abfälligkeit eine widerliche Show machen. Tishs große Schwester ist immer gleich zur Stelle, um das Selbstbewusstsein der Schwangeren zu stählen und sie zu beschützen: „Unbow your head, sister!“. Es finden sich zahlreiche Momente, in welchen die Figuren explizit oder subtil eine interessante Facette erhalten, um die Geschichte in der Authentizität der Erzählung zu unterstützen. Es handelt sich in jenem Bereich jedoch auch nicht mehr als um einen überaus gelungenen Rahmen, der eine Struktur zur Einbettung des eigentlichen Kerns der emotionalen Geschichte bietet.

Ein Sog

Szenenkompositionen, Musik und Dramaturgie arbeiten in Perfektion, um einen einzigartigen Sogeffekt zu erzeugen. Berry Jenkins erarbeitet Schritt für Schritt eine emotionale Immersion des Zuschauers, geleitet einen in profunde Emotionswelten. Jene haben die Qualität einer durchdringenden Empathie, als wären die Bilder auf der Leinwand Gedanken eines tiefgründigen Gesprächspartners. Wir fühlen nicht, sondern fühlen mit. Es ist unklar, zu welchen Zeitpunkten genau der Sog einsetzt – doch findet jener einen überwältigenden Höhepunkt in jenen Szenen, in denen das junge Paar im Mittelpunkt steht. Als würden wir erleben, wir ein bedeutungstragendes Gemälde vor unseren Augen gemalt wird – und wenn es fertig ist, wird die Zeit eingefroren und wir betrachten es mit einem Staunen.

Mit einem Schnipsen veranlasst uns Berry Jenkins wie in einer Hypnose jenen Sog zu entfliehen und Schritt für Schritt bereitet er uns den nächsten Sog, der eine weitere Facette der bittersüßen Liebesgeschichte aufzeigt. Berry Jenkins ist sich seiner Macht bewusst und setzt jene ganz gezielt ein. Durch diesem immensen Sog der Empathie verleiht er seinem Werk eine Persönlichkeit: Eine Persönlichkeit, die uns in ganzer Deutlichkeit erzählt, dass es sich um Menschen handelt, und jene Menschen werden ungerecht behandelt, und das ist falsch.

Ein Polizist und weiterer Pathos

Doch fragt man sich: Kann das denn wahr sein? In einem durchschnittlichen Film würde die größte Schwäche des ansonsten meisterlichen Werkes nicht in ein so starkes Gewicht fallen. Doch Berry Jenkins Werk fühlt sich inkonsistent an; gerade, weil viele Elemente in Perfektion ausgearbeitet wurden. Doch ist ein Element in der Lage, dem gesamten Werk ein Bein zu stellen. Die Darstellung eines rassistischen und hässlichen Polizisten, der meint Fonny am Tatort gesehen zu haben, ist eine bloße, uninteressante Karikatur. Es wird in jenem Fall kein Mensch gezeichnet, sondern einfach eine plumpe Darstellung der Bosheit, die in ihrer Idee einem kindischen Rollenspiel gleicht: Ein Kind der emotional geführten, populistischen Twitterdebatten. Nach dieser Darstellung war der Film am straucheln, weil der weitgeöffnete emotionale Zugang mit einem Schlag geschlossen wurde und die Tür nur langsam wieder geöffnet werden kann – schließlich hat man das Vertrauen verloren.

„If Beale Street Could Talk“ ist in seiner emotionalen Auseinandersetzung keine Twitterdebatte, doch zwitschert immer mal wieder ein trumpesker Charakter dazwischen, der seinen Höhepunkt in der Darstellung des Polizisten gefunden hat. Doch auch die Darstellung eines jüdischen Vermieters trübt mit seiner theatralischen Position zur Gleichberechtigung und Liebe, die er von seiner Mutter gelernt hätte, die Ausstrahlung des Werkes: Es möchte einfach nicht richtig in die ansonsten glaubwürdigen und sehr tiefen Gefühlswelten hineinpassen.

Doch jener Sog…

… macht „If Beale Street Could Talk“ nichtsdestotrotz zu einer großartigen Erfahrung. Man wünschte sich, Berry Jenkins hätte Vertrauen in die Emotionalität seines Werkes gehabt und wäre nicht in einigen, wenigen Momenten durch ungeschicktem Pathos dem Wunsch verfallen, die so starken Punkte des Filmes in kitschige, unpassende Worte zu fassen. Man hätte verstanden. Verstanden, ohne zu zeigen. Verstanden, da gefühlt. Wäre da Vertrauen. Doch wieso sollten wir dem Werk trauen, wenn Berry Jenkins der Wirkung seiner Szenen nicht traut? Und genau deshalb haben wir einen ambivalenten Standpunkt – wir haben das Gefühl, dass sich die Persönlichkeit, die sich hinter dem Film verbirgt, zeitweise verschlossen hätte, obwohl sich sich zuvor mit seiner ganzen Seele offenbarte.