Sieben Minuten nach Mitternacht
„Sieben Minuten nach Mitternacht“ beweist Mut. Conor beweist Mut. Sein Mut unterstreicht den Kerninhalt des Filmes – verleiht der Geschichte unglaubliche Kräfte. Schließlich:
“Stories are wild creatures, the monster said. When you let them loose, who knows what havoc they might wreak?” ― Patrick Ness, A Monster Calls
Wir begleiten den jungen Conor bei seiner eigenen tiefenpsychologischen Auseinandersetzung mit dem Tod. Nicht etwa als Knabe liegend auf einem antiquierten Sofa mit feingewebtem Bezug als Patient eines Psychoanalytikers. Trotz eines gelegentlichen Wutausbruches beweist sich Conor als äußerst fähig, sich selbständig mit einer tiefgreifend erschütternden Situation auseinanderzusetzen: Mit dem Tod seiner Mutter.
Immer wieder sagt sie, dass alles wieder gut werden würde – doch bis jetzt ist jede Therapie erfolglos. Man könnte gute Argumente finden, die gegen eine Auseinandersetzung jener Thematik für Kinder und Jugendliche sprechen. Man könnte anzweifeln ob solche Inhalte für diese Zielgruppe geeignet seien: Doch genau das macht diesen Film speziell und interessant und außerordentlich wichtig. Es werden Konzepte untersucht, welche gerade in solch einem Gewand in dieser Intensität eine nachhaltige Wirkung haben können. Doch wie genau läuft diese Auseinandersetzung ab? was macht sie so speziell?
Die Hilfe eines Monsters. Es ist konzeptuell großartig, jenes Monster (Liam Neeson) als Trauminhalt zu integrieren, findet sich hier eine Verbindung zum Konzept der Traumdeutung. Jene Introspektion, ob nun eine Gedankenwelt, eine Analyse der Gefühle oder eben das Deuten von Träumen bildet die bildliche Brücke zur Psychoanalyse, die Auseinandersetzung mit dem Inneren.
Immer wieder sucht das Monster – und es bleibt während des gesamten Filmes bei der Bezeichnung Monster – den Jungen in seinen Träumen heim. Es ist riesig und letztendlich bloß eine wandelnde Eibe. Durch das Fehlen eines Namens wird aus dem Monster keine äußere Entität, es bleibt etwas zu Conor gehörendes. Im Prinzip ist das Monster ein bloßer, gedanklicher Vorgang des Jungen. Die Gespräche zwischen Conor und dem Monster bilden also einen inneren Monolog. Dieser beinhaltet Geschichten, die jeweils in eine Richtung gehen: Zwischen Gut und Böse befindet sich ein grauer Bereich, in welchem sich die meisten Menschen befinden. Gleichzeitig wird nicht infrage gestellt, dass Taten grundsätzlich gut oder böse sein können.
“There is not always a good guy. Nor is there always a bad one. Most people are somewhere in between.” ― Patrick Ness, A Monster Calls
Warum dies so wichtig ist, und hier befindet sich der geniale Kern der Auseinandersetzung mit dem Thema Tod, wird im Verlauf des Filmes inhaltlich und dramaturgisch herausgearbeitet. Letztendlich kristallisiert sich heraus, dass Conor sich den Tod der Mutter wünscht: Nicht, weil er seine Mutter nicht lieben würde, sondern, weil Conor einfach nicht mehr kann. Des Monsters eigentliches Ziel ist es – stets dachte Conor, das Monster wäre da, um seiner Mutter zu helfen –, Conor das emotionalen Loslassen zu ermöglichen.
Und hier schließt sich der Kreis. Da das Monster im Prinzip bloß die innere Auseinandersetzung mit der eigenen emotionalen Welt darstellt, ergründet Conor im Kern der Geschichte den Ursprung seiner Gefühle. Es ist nicht das potenzielle Alleinsein oder der Verlust der Mutter, sondern der moralisch scheinbar verwerfliche Wunsch, die eigene Mutter loszulassen, sie gehenzulassen und sich somit selbst zu befreien, welcher sich in seinen Gefühlen äußert. Dies beinhaltet den Gedanken, dass seine eigene Mutter sterben solle.
A Monster Calls ist eine grandiose Auseinandersetzung mit jenem Gedanken – ein wichtiger, emotional komplexer und intensiver Film. Dass jene Gedanken existieren, ist evident. Dass sie sich für den Betroffenen selbst falsch anfühlen, ist unserem Moralverständnis geschuldet und selbstverständlich. Eine filmische Auseinandersetzung mit dem Thema und der Hauptaussage: „Das ist in Ordnung und menschlich.“, macht es inhaltlich und konzeptuell zum Meisterwerk.
“Because humans are complicated beasts, the monster said. How can a queen be both a good witch and a bad witch? How can a prince be a murderer and a saviour? How can an apothecary be evil-tempered but right-thinking? How can a parson be wrong-thinking but good-hearted? How can invisible men make themselves more lonely by being seen?
„I don’t know,“ Connor shrugged, exhausted. „Your stories never made any sense to me.“
The answer is that it does not matter what you think, the monster said, because your mind will contradict itself a hundred times each day. You wanted her to go at the same time you were desperate for me to save her. Your mind will believe comforting lies while also knowing the painful truths that make those lies necessary. And your mind will punish you for believing both.” ― Patrick Ness, A Monster Calls
Bild: Szenenbild aus „Sieben Minuten vor Mitternacht“ © Studiocanal GmbH Filmverleih