HIQFF 2025: Sichtbar, verletzlich, widerständig

Das Hamburg International Queer Film Festival –  einst entstanden aus den Lesbisch Schwulen Filmtagen (erste Ausgabe 1990 im Metropolis; Ursprünge aus einem autonomen Seminar der Uni Hamburg) – ist längst weit mehr als „nur“ ein Filmfestival. Es ist ein gesellschaftlicher Resonanzraum, ein Ort des Widerstands, und in der heutigen Zeit vielleicht wichtiger und dringlicher denn je. Es ist keine leichte Aufgabe, dem gerecht zu werden. Und ja: sie wurden es.

Die Eröffnung: Überleben als kollektiver Akt

Schon die Eröffnung auf Kampnagel war ein emotionaler Paukenschlag. Der Eröffnungsfilm The Crowd des iranischen Regisseurs Sahand Kabiri – der nur über Umwege ein Visum für die Einreise nach Deutschland erhalten konnte – erzählte eindringlich, wie überlebenswichtig queere Räume sind, wie riskant es sein kann, einfach „zu sein“. Sein Film zeigt, was es bedeutet, wenn Sichtbarkeit nicht selbstverständlich ist, sondern eine Form von Mut, ja von kollektivem Kampf.

Die Moderation von Amina Balajo und Lady Sasha verband politische Klarheit mit Witz und Wärme – eine Feier des Miteinanders.

Zwischen Leinwand und Leben

Was dieses Festival so besonders macht, ist nicht allein das, was auf der Leinwand passiert, sondern das, was danach im Raum geschieht: Gespräche, geteilte Blicke, solidarische Stille. Die Gebärdensprach-Dolmetschung bei vielen Veranstaltungen war dabei nicht nur Inklusion, sondern Haltung. Repräsentation ist kein Bonus, sie ist Basis. Und dass Hamburg Pride in diesem Jahr die Schulvorführungen ermöglichte, ist mehr als Sponsorenschaft – es ist eine Investition in zukünftige Offenheit.

Ganz passend dazu – der Abschlussfilm: Ein beeindruckendes Coming-of-Age über eine gehörlose, alleinerziehende Mutter, Klassismus, Scham, Sexualität, Abtreibung und das Erwachen einer bisexuellen Identität. Der Film ist nicht perfekt – aber wichtig. Er zeigt eine Welt, in der Sprache, Körper und Scham kollidieren, und die Regisseurin benennt im Interview: Gebärdensprache ist unterdrückte Sprache.

Queerer Film ist Gesellschaftskino

Eigentlich sollten wir den Ausdruck „queerer Film“ längst hinterfragen. Diese Filme sind nicht „anders“, sie sind präzise Abbilder der Gesellschaft, ihrer Brüche, Hoffnungen, Gewalt- und Klassenverhältnisse. Sie erzählen nicht nur Einzelschicksale, sondern zeigen, wie eine Gesellschaft leben möchte – frei, selbstbestimmt, ohne Angst.

Während in den USA Bücher mit queeren Inhalten verboten werden und Bibliothekar*innen bedroht sind, während in Europa rechte Kulturkämpfe das Wort „woke“ als Schimpfwort missbrauchen, hält das HIQFF dagegen: mit Geschichten, die Vielfalt nicht als Mode, sondern als Menschenrecht begreifen.

Filme, die bleiben

1) Fragile Familien und das innere Kind

Outerlands (Elena Oxman): Ein Film aus der Perspektive einer trans* Person, die in einem prekären Familiensystem zwischen Nähe, Sucht und Verlust navigiert. Es geht um das Wiederfinden des eigenen inneren Kindes, um unfreiwillige Verantwortung und das wiederholte Verlassenwerden – zärtlich, roh, durchdringend ehrlich. Und ein Abbild einer Generation, die immer noch sucht.

2) Black, Queer, Poly, Trans – und erschöpft von der Welt

Ein Roadtrip durch die inneren und äußeren Grenzgebiete einer postkolonialen Gesellschaft. Dreams in Nightmares (Shatara Michelle Ford) konfrontiert mit Selbstsuche und strukturellem Schmerz, Intellektualität und queere Solidarität. Eine Selbstsuche zwischen Eskapismus, Privilegiencheck und Kritik am Individualismus.

3) Klasse, Glaube, Queerness 

Besonders eindrücklich war Die jüngste Tochter von Hafsia Herzi. Der doch recht leise, präzise Film erzählt vom Aufwachsen zwischen Klasse, Religion, Migration und Queerness – und davon, wie familiäre Liebe und strukturelle Gewalt ineinandergreifen, wenn Glauben und Armut das eigene Selbst zu leben „schwer machen“. Realistischer Blick auf das Ringen um eigene Identität und Begehren. Ein Paradebeispiel von Intersektionalität im Film, und den sensiblen Spannungsfeldern des eigenen Mikrokosmos.

4) Sauna – Körper, Macht und Zugehörigkeit

In Sauna (Mathias Broe) wird Erotik zur politischen Sprache. Der Film legt offen, wie trans* Personen selbst in queeren Räumen mit Ausschluss und Misstrauen konfrontiert sind – und wie Begehren und Scham, Klassismus und Identität untrennbar verwoben sind.

5) The Librarians – wer entscheidet, was gelesen werden darf?

Ein Dokumentarfilm über den Kulturkampf um Bücher in den USA: über Bibliothekar*innen, die sich weigern, queere Literatur aus den Regalen zu entfernen – und dafür Anfeindungen, Jobverlust und Gewaltandrohungen riskieren. Der Film ist kein Blick in ein fernes Land, sondern eine Warnung für heute, für jetzt, für den Kampf um unsere Freiheit.

Gesellschaft als Gemeinschaft

Das HIQFF 2025 hat einmal mehr gezeigt, dass Community kein Modewort ist, sondern eine Überlebensstrategie. Es ist der Gegenentwurf zur Vereinzelung, zur Angst, zur Anpassung. In einer Zeit, in der rechte Diskurse versuchen, Empathie als Schwäche darzustellen, setzt dieses Festival auf Verbindung – nicht als Romantik, sondern als politische Praxis.

Und ja, wer in diesem Jahr das katzenverliebte Festivalteam erlebt hat – mit einem Leitmotiv, das zugleich schnurrt und kratzt – versteht: Widerständigkeit kann sanft sein.

Fazit

Das HIQFF bleibt ein Ort, an dem Sichtbarkeit politisch ist und Zärtlichkeit eine Form von Widerstand. Hier wird nicht nur Film gezeigt, sondern Zukunft verhandelt. Eine Zukunft, in der Menschen nicht um ihre Existenz bitten müssen, sondern sie leben dürfen.

Großes Lob an das Festivalteam, an alle Ehrenamtlichen, und an die Menschen, die Räume schaffen – auf der Leinwand wie im Leben. Das HIQFF zeigt: Die „Crowd“, das sind wir alle. Und wir sind stark.