A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani

Asghar Farhadi zeigt uns die wahrhaftige Komplexität des Lebens: Mit „A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ zeichnet er nun in seinem neuesten Werk eine sensible und hochkomplexe Sezierung der menschlichen Moral. Farhadi stellt uns eine Frage, die uns immer wieder in der Filmgeschichte begegnet: Was ist richtig? Was ist falsch? Was bedeutet es, ein guter Mensch zu sein? Man könnte meinen: Was ist die Moral von der Geschicht‘? Selten war der Fokus jedoch so stark auf die feinen Grenzen des Guten und Bösen gerichtet, wie hier. Moral steht im Mittelpunkt der Geschichte, und zwar nicht nur eine Moral, sondern die Moral an sich.

A Hero stürzt den Zuschauer mitten in eine undurchsichtige und verwobene Geschichte über eine verlorene Handtasche. Rahmin Soltani (Amir Jadidi) erhält von seiner Partnerin Farkhondeh (Sahar Goldoost) eine Handtasche mit 17 Goldmünzen – eine Handtasche, die zuvor eine Frau an einer Bushaltestelle verloren hatte. Die Verlockung ist groß: Rahmin ist hochverschuldet und sitzt wegen dieser Schulden in einem iranischen Gefängnis. Gemeinsam versuchen sie, die Goldmünzen an einen Händler zu verkaufen, aber der Preis ist viel niedriger als erwartet. Letztendlichen reichen die Goldmünzen nicht, um die Schulden zu begleichen.  Mit einem schlechten Gewissen sucht Rahim die Besitzerin der Tasche und gibt sie einer armen Frau zurück, die vor Freude weint, weil sie sie zurückbekommen hat.

Seine gute Tat spricht sich herum, und die Gefängnisleitung organisiert ein Fernsehteam, um ihn zu interviewen – sicherlich aus ambivalenten Motiven: Einerseits sei eine Berichterstattung förderlich für das Image des Gefängnis, schließlich gäbe es dort Suizidfälle – da ist die Assoziation mit solch einer guten Tat wünschenswert. Andererseits würde sie auch Rahmin helfen – Presse und Öffentlichkeit in solch einem positiven Kontext, was wünscht man sich mehr? Rahmin wird als Held gefeiert. Das Beste ist, dass er in den Augen seines Sohnes zum Helden wird, einem ernsten Jungen mit einer Sprachstörung, dem seine schwierige und ernste Lebenssituation sichtlich gezeichnet hat. So weit so gut. Letztendlich hat Rahmin bei dieser Geschichte jedoch gelogen – zeigt den Fernsehleuten, wo genau er die Handtasche gefunden hätte, obwohl es doch seine Partnerin Farkhondeh war, über die er schweigen möchte. Dass er die Goldmünzen ursprünglich verkaufen wollte, verschweigt er. Gute Notlügen? White Lies?

Zunächst geht alles gut – eine Wohltätigkeitsorganisation sammelt sogar Geld, um ihn aus dem Gefängnis zu holen. Sie verschaffen ihm sogar einen Job! Doch dann geht alles schief… Um das Gute zu tun und gleichzeitig das rechte Licht zu wahren, verstrickt sich Rahmin in weitere Lügen. Die Leute beginnen, seine Geschichte und seine Beweggründe anzuzweifeln. Die Geschichte bekommt Risse, und Rahim ist gezwungen, seine Version ständig zu aktualisieren. Komplexer wird es, als mit den gespendeten Geldern stattdessen eine Person von der Hinrichtung bewahrt werden könnte.

Interessant in diesem Film verwebt ist die Macht der sozialen Medien: Mehrere dramaturgische Stränge hängen davon ab, ob bestimmte Fakten oder Videos gepostet und veröffentlicht werden oder nicht. Die vielleicht bewegendste Szene des Films zeigt einen Gefängniswärter, der Rahims kleinen Jungen der tapfer darum kämpft, ein paar Sätze (stotternd und voller Anstrengung) aufzusagen, die von der Kamera aufgezeichnet werden, um das Image seines Vaters zu verbessern. Ein eindrucksvolles Beispiel der Emotionalität im Spiel der (sozialen) Medien.

In dieser hervorragenden, fein-gewobenen Geschichte wird die Frage des Richtigen und Falschen präzise und authentisch aufgemacht, die Komplexität entspricht der des Lebens – manchmal jedoch hatte man das Gefühl, dass die Geschichte zu berechenbar gegen den Protagonisten spielte. Trotz der Subtilität der moralischen Auseinandersetzung ist die Misere an Stellen so schwierig (jeder und alles scheint gegen ihn gerichtet zu sein), dass Farhadi den Balanceakt beinahe verloren hätte. Letztendlich nutzt er diese Grenzen jedoch geschickt genug, um ein herzzerreißendes Drama zu stricken. Dabei gerät der Protagonist in solch eine Spirale der Misere, dass sich der Magen umdreht – ganz ohne Mord und Todschlag; einfach, weil das Leben komplett schief läuft, und sich alles so furchtbar unfair anfühlt. Aber: So kann das Leben spielen. Was bedeutet es nun, in dieser Situation richtig zu handeln und ein guter Mensch zu sein? Farhadi zeigt es uns, und zwar insbesondere, dass diese Grenzen durchsichtig sind, und das Leben viel mehr grau ist, als schwarz oder weiß.