Carol
Die prägenden Momente unseres Lebens werden durch Bekanntschaften definiert – Freunde, Familie und Lehrer offenbaren in Gesprächen das Gesicht der Welt. Jene, die es uns erlauben authentisch zu sein; unsere intimsten Gefühle zu zeigen, dienen letztendlich als Feder, die uns als Menschen zeichnet. Mit Carol (2015) führen wir jenes Gespräch. Regisseur Todd Haynes möchte uns eine Geschichte erzählen und damit sein tiefgründiges Verständnis der menschlichen Natur vermitteln.
„Liebste… Es gibt keine Zufälle. Keine meiner Erklärungen würde dich zufriedenstellen. Du suchst nach Antworten, weil du jung bist. Aber eines Tages wirst du es verstehen.“ – Aus Carol (2015)
Für solch ein Gespräch gibt es eine bestimmte Voraussetzung: Emotionale Zugänglichkeit. Jeder, der sich auf diesen Dialog einlassen möchte, muss sich vorher im Klaren sein, was von ihm als Gesprächspartner erwartet wird. Todd Haynes möchte, dass wir hinhorchen. Er offenbart seine intimsten Gedanken und entwickelt damit eine intensive Auseinandersetzung, die nicht nur die Figuren seiner Geschichte betrifft. Vielmehr betrifft sie uns.
In Gesprächen mit Personen die ihre Seele offenbaren erhält Beiläufiges eine tiefgründige Bedeutung – Inhalte werden nicht mehr sorgfältig durchdacht; die wahren Wünsche, Träume und Sorgen kommen zum Vorschein. Die Wichtigkeit einer jeden Einzelheit fesselt den Zuhörer und nimmt ihn vollkommen ein. Wenn man sich darauf einlassen möchte, kann Carol diese nachhaltige Wirkung entfalten. Inhaltlich wird eine Linie verfolgt, die durch Ruhe und Sensibilität zum emotionalen Höhepunkt führt, der die ohnehin durchdringende Wirkung des Filmes potenziert.
Die Bedeutung der Geschichte finden wir lediglich in uns. Kein anderer wird in der Lage sein, den bedeutungstragenden Kern herauszustellen, denn letztendlich wandelt sich dieser und wird durch unsere einzigartige, persönliche Lebensgeschichte bestimmt. Sicherlich beinhaltet Carol eine beschreibbare Handlung, die jenes Wesen schafft. Eine einfache Ausführung oder Analyse jener scheint jedoch nicht zweckgemäß. Carol hat ihre Geheimnisse nämlich im Vertrauen erzählt. Wir werden sie für uns behalten.
Bild: Szenenbild aus „Carol“, 2015, © Wilson Webb / DCM