Das Talent des Genesis Potini

Kinostart: 16. Juni 2016

Der englische Titel „The Dark Horse“ verweist mit seiner Symbolik auf jene Charakteristika, die bezeichnend für den Protagonisten des Filmes sind. Schließlich handelt es sich beim Protagonisten Genesis Potini um ein Schachgenie, das jedoch wegen einer bipolaren Störung aus der Bahn geworfen wurde. Der deutsche Titel des neuseeländischen Filmes lautet: „Das Talent des Genesis Potini“ – der Name des talentierten Mannes, so möchte man meinen, ist jedoch im deutschsprachigen Raum weitestgehend unbekannt. Man entscheide selbst, welcher Titel zur Vermarktung des Filmes besser geeignet wäre und die Bedeutung des Werkes geschickt unterstreichen würde.

Neuseeland ist unter Filmliebhabern eher für seine atemberaubenden Landschaften bekannt, die etwa in der „Der Herr der Ringe“ Trilogie gekonnt in Szene gesetzt wurden, als für die Kinder des Landes, die sich als Filmschaffende in der Welt behaupten. Für mich ist „Das Talent des Genesis Potini“ des neuseeländischen Regisseurs James Napier Robertson die erste Konfrontation mit der Filmkultur der Landes. Dortselbst wird der Film in der Presse als „one of the greatest New Zealand films ever made“ (RNZ National Review) bezeichnet – ähnlich sieht das die australische Presse, so lobt „The Australian“ das Werk in den höchsten Tönen: Es sei ein Werk von höchster, künstlerischer Exzellenz.

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Ich muss gestehen: Ich habe mich bloß deshalb dafür entschieden, diesen Film anzusehen, weil er so wunderbar in meinen Zeitplan passte. Schließlich fand direkt davor die Vorführung eines niedlichen Animationsfilmes des Hause Disney statt, welcher in den nächsten Wochen in den Kinos erscheinen wird. Der deutsche Titel konnte keineswegs mein Interesse für den Film wecken – letztendlich war meine Motivation sogar so gering, dass ich völlig uninformiert in den Kinosaal gegangen bin. Zum Glück! „Das Talent des Genesis Potini“ ist nämlich ein überaus bewegender Film. Das meine ich wortwörtlich! Plötzlich wollte ich Schach spielen; war motiviert, einem Sportclub beizutreten und habe mich über die Hintergründe des Mannes informiert, der in diesem Film gekonnt porträtiert wurde. Der Film hat mich aus einem Motivationstief gezogen und mich dazu bewegt, eine Kritik zu diesem Film zu verfassen und mich damit selbst wieder in meinen Gedanken auszutoben.

Die Erzählung besteht im Wesentlichen aus zwei verwobenen Haupthandlungssträngen. In vielerlei Hinsicht handelt es sich damit um die Struktur eines klassischen Dramas: Der eine Handlungsstrang beinhaltet das Streben nach Glück oder das Verfolgen eines höheren Zieles, der andere bietet die Grundlage für sonstwie geartete Hindernisse und Konflikte. Eine negative Kritik würde vermutlich hier ansetzen, schließlich würde sich herausstellen lassen, dass die Erzählung generisch konstruiert wäre; sogar berechenbar sei. Meiner Ansicht nach hat der Kritiker Peter Debruge von der Variety mit seiner Einleitung den Nagel auf den Punkt getroffen.

„Watching movies can be a lot like playing chess. With enough practice, you start to anticipate the moves, adjusting your defenses so as not to be taken off-guard. As such, “The Dark Horse” is as good a title as any for a film that takes an overplayed genre — the inspirational mentor story — and still manages to surprise, sneaking up to deliver a powerful emotional experience within a formula we all know by heart“ – Peter Debruge, Variety

Genesis Potini lebt nach seiner Entlassung aus der Klink vorübergehend bei seinem Bruder Ariki, welcher Mitglied einer Gang ist: Groß, kräftig, lederjackentragend, voller Tattoos und hart im Nehmen. Der Tätigkeitsbereich der Gang beschränkt sich auf brutale Gewalt – so werden Menschen geschlagen und getreten, auf Menschen wird uriniert; es werden Unschuldige gewalttätig überfallen. Ariki betont immer wieder, dass das die grausame, düstere Realität des Lebens sei. Zum Glück bedeutet das bei Weitem nicht, dass der Bruder ein einfach konstruierter Gegenspieler wäre – die Beziehung zwischen Genesis und seinem Bruder ist emotional – es wird glasklar, dass eine tiefe Bindung zwischen den beiden unterschiedlichen Männern besteht. Hierin liegt die Stärke des Drehbuchs und wegen der vielschichtigen, durchdachten Zeichnung der Hauptcharaktere kann das Drama seine durchdringende Wirkung entfalten.

Genesis, auch „Gen“ genannt, lernt auf diesem Wege seinen jugendlichen Neffen kennen. Schnell befreundet sich das Schachgenie mit dem scheuen, empfindsamen Jungen, der offenbar ein Interesse für die Vergangenheit des Onkels hegt. Der emotionale Kern der Geschichte offenbart sich in der Entwicklung der Beziehung zwischen diesen beiden Charakteren. Genesis schafft in seinem eigenen Leben einen Stabilitätsanker, indem er eine Tätigkeit als Coach bei einem Schachclub für Kinder und Jugendliche beginnt. Es ist sein selbsterklärtes Ziel, die Kinder und Jugendlichen binnen 6 Wochen auf ein Leistungsniveau zu bringen, dass sie kompetetiv an einem nationalen Wettbewerb teilnehmen können.

Der Film erinnert in dieser Weise an einen Film mit einer ganz ähnlichen Thematik, nämlich „Die Kinder des Fechters“ des finnischen Regisseurs Klaus Härö – doch im Gegensatz zu diesem gelingt es dem neuseeländischen Regisseur, eine geeignete, überzeugende und damit einnehmende Dramatik zu erschaffen. Gleichzeitig kann Regisseur Robertson den Sportgeist ebenso authentisch und mitreißend einflößen: Plötzlich fühlt man sich in die eigenen Tage als Sportler im Kindes- und Jugendalter zurückversetzt. Begründet liegt das unter anderem darin, dass Genesis Potini als begeisterter, hingebungsvoller Coach charakterisiert wird. Eine solche Person hat mich in meinem jungen Alter ganz wesentlich geprägt, und jene wichtige, verantwortungsvolle Position wurde glänzend umgesetzt.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf: Genesis Neffe möchte sich ebenfalls mit dem Schachsport auseinandersetzen und Teil des Clubs werden – sein Vater Akiri ist jedoch gegen den Einfluss des Onkels, schließlich müsse sich sein Sohn auf die harte Realität des Lebens fixieren. Zum Problem wird das, als der Geburtstag des jungen Mannes auf den selben Tag fällt, an welchem das Schachturnier stattfinden soll. Ariki besteht darauf, dass sein Sohn Mitglied der Gang wird – und das Aufnahmeritual soll an ebendiesem Tag sein. Es folgt eine lange, steinige emotionale und körperliche Marter, die seinen besorgten Onkel Genesis sichtlich fordert. Von anderen Gangmitgliedern wird sein Neffe entwürdigt: Ein Prozess, der in stählen soll, damit er letztendlich in den Augen der Gruppe zum Mann werde. Das jedoch widerstrebt ganz offensichtlich der Natur des jungen Mannes.

Dem beeindruckenden Schauspieler Cliff Curtis gelingt eine überzeugende Verkörperung des Schachgenies. Damit trägt er wesentlich zum Gelingen des Werkes bei. Mit seinem Schauspiel unterstreicht er die tiefgründige Persönlichkeit, die von allerlei positiven Charakterzügen zeugt. Eine derartige Charakterisierung eines Protagonisten ist heikel – so wird er hier als durch und durch mutige, hoffnungsvolle und hilfsbereite Person präsentiert. Schnell könnte es so wirken, als wäre das, was gezeigt wird, zu gut um wahr zu sein. Der Regisseur und Drehbuchautor beweist jedoch einen sensiblen Umgang und weiß, einen glaubwürdig guten Menschen zu generieren. Besonders wichtig wird dies, wenn es sich nicht um ein fiktives Drama handelt – schließlich wird dieser Film das Meinungsbild über den porträtierten Mann in der Öffentlichkeit prägen. Weiterhin ist zu erwähnen, dass Darsteller Wayne Hapi in seiner Rolle als Gangmitglied und Bruder Ariki ebenfalls eine gute Leistung erbracht hat. Interessanterweise, so zumindest IMDB, war er in seiner Vergangenheit Mitglied einer Gang – was ihm vermutlich einen direkten Zugang zur grundlegenden Natur der Rolle verschaffen konnte.

Der emotionale Höhepunkt gegen Ende des Filmes erinnert hinsichtlich Wirkung und Struktur an das populäre Drama „Gran Torino“ von Clint Eastwood. Inhaltlich werde ich darauf jedoch nicht weiter eingehen – doch denke ich, dass die tiefgreifende, emotionale Wirkung beider Filme der gleichen Quelle der Menschlichkeit entsprungen ist.

Aus dem seichten Gewässer, der zunächst der trabenden Exploration der vielfältigen, gefühlvollen Facetten der spannenden Charaktere dient wird ein reißender Strom und schließlich: „The Dark Horse“. Ein beeindruckendes Porträt eines beeindruckenden Mannes, den der neuseeländischen Regisseurs James Napier Robertson in seinem inspirierenden Plädoyer gekonnt ins Rampenlicht gestellt hat.
3m5 von 5

Bild: Entnommen aus dem Trailer von „Das Talent des Genesis Potini“ (2016) © Koch Films GmbH

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