Matangi/Maya/M.I.A.

Matangi „Maya“ Arulpragasam. Bekannt wurde sie als elektro-pop Künstlerin M.I.A. – Missing In Action. Zu Beginn der Dokumentation „Matangi/Maya/M.I.A.“ (2018) erläutert die Musikerin, dass sie die ganzen interessanten Geschichten erzählen wolle, die in der Welt geschehen würden. Sie wollte Dokumentarfilmerin werden. Regisseur Steve Loveridge komponiert aus über 900 Stunden Filmmaterial ein Werk über diese kontroverse Künstlerin. Bei Loveridge handelt es sich um einen langjährigen Freund, welchen sie schon aus ihren jungen Jahren an der Kunsthochschule kannte. (1)

900 Stunden Filmmaterial sprechen für sie und ihre Person: Bereits im Alter von Elf Jahren wollte sie die Welt und ihre eigene Person filmisch einfangen. Sie präsentiert sich als Aktivistin und Außenseiterin; definiert sich über ihre sri-lankische Herkunft und dem dort vorherrschenden Bürgerkrieg. Schon zu Beginn der Dokumentation erklärt sie sich selbst als überaus spannende Person: Sie bezeichnet ihren eigenen Vater als Terroristen. Arul Pragasam gründete die Eelam Revolutionary Organization of Students (EROS), bei welcher es sich um eine militante tamilische Organisation Organisation handelte. (2) Seine Gewaltbereitschaft wird in einem Ausschnitt präsentiert, in welchem der Vater erzählt, wie er verschiedene Waffen und Sprengstoffe ins Land schmuggelte, indem er sie mit Geschenken, etwa Kleidung oder einer gelben Gummiente, verdeckte.

Der Blick eines guten Freundes

Aufgrund der langen Freundschaft zu Loveridge, welcher einen Zusammenschnitt aus dem Material der Musikerin selbst erstellte, entsteht ein zunächst intimer Eindruck. Schon als Jugendliche wusste sie die Kamera als Mittel des Dialogs zu nutzen: Sie sprach mit der Kamera, als wäre sie ein guter Freund. Sie wusste genau, die Kamera gekonnt zu positionieren, um Konflikte und spannende soziale Situationen einzufangen. Von Anfang an schafft die Dokumentation damit eine Art persönliche Verbindung. Maya wird zudem als sympathischer Mensch gezeichnet, indem sie in sozialen Alltagssituationen eben als lebensfreudige und überaus sympathische, etwas verspielte, gleichzeitig ernste junge Frau demonstriert wird.

Inhaltlich herausstellen möchte sie dabei ihre Position als Aktivistin: Als „Dokumentarfilmerin“ besucht sie ihre alte Heimat, trifft auf Verwandte; erhält auf diese Weise Einblick in die Gefühlswelt der dortigen Anwohner. Bei Ihrer Ankunft hieß es, sie müsse ihren Aufenthalt offiziell registrieren, weil es willkürliche Hausdurchsuchungen gäbe. Bekannte würden nicht gerne vor der Kamera sprechen, es sei ihnen unangenehm, sie hätten Angst: So handelt es sich um Material, das sie belasten könnte. In solchen Gesprächen wird ein junger Mann gezeigt, der die Position von Maya scherzhaft hinterfragt. Sie wüsste doch gar nichts, gehöre nicht wirklich dazu. Wie denn auch, sie flüchtete mit 9 Jahren mit ihrer Mutter und Geschwistern.

Katastrophentourismus?

Ihre eigene Position hinterfragt und reflektiert sie jedoch nicht, zumindest nicht in den gezeigten Ausschnitten. Die eigentlichen Motive der jungen Frau während ihres Aufenthaltes sind fragwürdig. Sie präsentiert sich als Außenseiterin, behauptet, sie hätte nichts mit den Interessen der dort ansässigen jungen Erwachsenen am Hut, hätte andere Interessen und Ziele, müsse sich jedoch gezielt integrieren. In der Tat handelt es sich um ein frühes Projekt; hier ist selbstverständlich kein Vorwurf zu machen. Fraglich ist jedoch, ob diese Szenen geeignet sind, um die Künstlerin in der Dokumentation als Aktivistin zu zeichnen.

Erfolg fand Maya als Musikerin: Sie war gleichzeitig für einen Grammy und einen Oscar nominiert, hier für die Kategorie „Best Original Song“, „O… Saya“, welchen sie gemeinsam mit dem indischen Musiker A. R. Rahman schrieb. Sie galt in jener Zeit als Provokateur. Einen Höhepunkt stellt sicherlich ein Auftritt beim Superbowl 2012 gemeinsam mit Madonna und Nicki Minaj dar. Beim Superbowl Auftritt im Jahre 2012 etwa zeigte sie dem Publikum den Mittelfinger – in den Vereinigten Staaten von Amerika ein Skandal, welcher selbstverständlich ausgeschlachtet wurde. Szenen in diesem Zusammenhang nutzt Loveridge hingegen gezielt, um die mediale Rezeption zu beschreiben.

Bittersüße Provokation

In einem Projekt präsentiert Maya eindrucksvoll die Hypokrisie, die sie in den westlichen Ländern erfahren hätte. So twitterte die Künstlerin ein Video, das eine Hinrichtung in Sri Lanka zeigte. Der letzte menschliche Kontakt des vermummten Opfers war ein Tritt in den Hinterkopf, worauf eine ruchlose Erschießung folgte. In verschiedenen Interviews wurde sie respektlos abgewürgt, als sie die Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat thematisieren wollte.

Als sie in einem Musikvideo die Hinrichtung eines rothaarigen, weißen Jungen zeigt, kommt es zu einem aggressiven, medialen Echo: Wo bleibe der Anstand? Maya erklärt: Es handele sich bei dem Blut bloß um roter Farbe, das Video, das sie twitterte, und niemanden regte, zeige ein echtes Leben, das ausgelöscht wurde. Die Authentizität des Hinrichtungsvideos wurde beispielsweise von der New York Times bekräftigt. (3) Wenige Tage später hätte die New York Times Sri Lanka jedoch auf Platz 1 der schönsten Touristenziele gesetzt. Während dies sicherlich einen recht herben Beigeschmack verursacht, handelt es sich bei der Argumentation um jene, die bei Terroranschlägen und dem dazugehörigen medialen Echo in westlichen Ländern genutzt wird.

Trotz der Wirkung handelt es sich um eine drastische Banalisierung eines psychologischen Phänomens – es wäre moralphilosphisch zu debatieren, ob eine stärkere affektive Reaktion bei entsprechender kultureller Nähe der Opfer tatsächlich auf eine Doppelmoral zu reduzieren sei. Doch in diesem Falle stelle man sich doch einfach vor, Maya hätte die Hinrichtung eines sri-lankischen Kindes prominent in einem Musikvideo gezeigt: Hätten ihre Kritiker jenes Verhalten nicht für ebenso absurd befunden? Es stellt sich eher die Frage, ob eine entsprechende Art und Weise der Provokation im Musikvideo mit scheinbar aktivistischen Motiven gerechtfertigt sei.

New York Times

In einem längeren Artikel berichtete die New York Times von M.I.A., veröffentlichte ein Profil. Im aktuellen Film werden private Aufnahmen gezeigt, bei welchen jener Artikel und dazugehörige Interviews (inkl. Coverfoto) von Maya und Freunden hinterfragt wird. Was ist das Ziel des Interviews? Laut Maya wäre der schlimmste Ausgang, das Maya als belanglose Person dargestellt wird. Szenen zeigen Maya mit der Editorin der New York Times, zeichnen die Interaktionen während des Interviews. Die Journalistin wäre von ihrer Arbeit begeistert, die Dialoge zwischen Maya nehmen freundschaftliche Züge an. Im Artikel selbst wurde Maya jedoch als sehr widersprüchliche Person gezeichnet – natürlich nicht im Sinne von Maya selbst.

„I kind of want to be an outsider,“ she said, eating a truffle-flavored French fry. „I don’t want to make the same music, sing about the same stuff, talk about the same things. If that makes me a terrorist, then I’m a terrorist.“ (4)

Erklärt werden sollte dabei, dass die Reporterin die Trüffel-Pommes wohl geordert hätte. Sie selbst rechtfertigt jedoch:

“I don’t think the French fries illustrate that much about her character. I don’t think that’s the only example of contradictions in M.I.A.’s life.“ (4)

Angepasst unangepasst

Trotz des sehr persönlichen Einblicks bleibt ein herber Beigeschmack bei dieser Dokumentation: Sie war ein Star. Sie positioniert sich als starke Aktivistin, die als Künstlerin wirken möchte – eben, um zu helfen. Steve Loveridge extrahiert Spotlights der Künstlerin um ein Porträt von der Person Maya zu erschaffen: Die Künstlerin mit starker Stimme für die Schwachen. Die Medien würden ihre Authentizität zu Unrecht hinterfragen. Es würde aufstoßen, dass sie nicht in die angepasste Welt des Glamours passt, sie sich nicht in eine Form pressen lassen würde. Doch ist dies tatsächlich der Fall?

Diese Dokumentation kann diese Frage nicht beantworten, ganz im Gegenteil. Diese überaus persönliche und intime Herangehensweise weckt ein verräterisches Vertrauen, das hinterfragt werden muss. Es stellt sich die Frage, weshalb jene Dokumentation jene Abschnitte ihres Lebens und den Konflikt mit den Medien herausstellen musste. Man könnte jenes Werk als eine egoistische Selbstdarstellung betrachten; als einen aufmüpfigen und einseitigen Verteidungsmechanismus, den sie voller Vorwürfe ohne Reflexion der eigenen Position ungefragt in den Raum wirft.

Who Am I?

Auch ich möchte ihre Position und Person nicht bewerten, untersuche lediglich die Wirkung und Komposition der Dokumentation. Zur abschließenden Bewertung wäre eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Wirken der Künstlerin notwendig. Doch sind es Stimmen aus dem Publikum, direkt nach dem Film, die mich veranlassen, dieses durchaus unterhaltsame und interessante Werk zu hinterfragen. Was für eine grandiose Künstlerin, was für ein Einsatz!, hieß es, doch ist dieses Werk mit Vorsicht zu genießen. Wer bin ich, das mir dieses Werk vorgeführt wurde, und wer führte mir dieses Werk vor, aus welchen Gründen? Meinungen werden zu einem erheblichen Anteil affektiv gesteuert; anders hätten populistische Aussagen keine Chance. Dieser Film war meinungsbildend, richtete sich dabei explizit gegen die Medien, stellte Einzelpersonen in ein überaus positives Rampenlicht. Selbstverständlich ist dies zu hinterfragen.

 

Ab dem 22.11. im Kino

 

(1) Rolling Stone, https://www.rollingstone.com/music/music-features/m-i-a-opens-up-about-super-bowl-fallout-immigration-retirement-629378/, abgerufen am 11.10.2018.
(2) Robert Wheaton: London Calling – For Congo, Columbo, Sri Lanka. PopMatters, 6. Mai 2005, archiviert vom Original am 24. Januar 2009; abgerufen am 11.10.2018.
(3) https://thelede.blogs.nytimes.com/2010/01/08/sri-lanka-atrocity-video-appears-authentic-un-says/ (Abgerufen am 11.10.2018)
(4) Entnommen aus http://gawker.com/5553404/mia-framed-by-a-french-fry (Abgerufen am 11.10.2018)

Bild: Entnommen aus dem Musikvideo von „Born Free“, aus dem Album „Maya“, M.I.A., Universal Music Group, Interscope, 2010

Beitragsbild: Pressematerial 2018 © rapid eye movies