Sympathy for Mr. Vengeance

Eine Kritik von Andreas

„Auge um Auge, Zahn um Zahn.“

„Sympathy for Mr. Vengeance“ ist der erste Teil der losen Rachetrilogie von Park Chan Wook. Er ist ein Jahr vor dem modernen Klassiker „Oldboy“ erschienen, welcher den zweiten Teil der Trilogie darstellt. Von einer Rachetrilogie erwartet man eines: Gewalt. Jene Darstellungen und der Weg zu diesen bilden den Kern der Werke, zu welchen sich „Sympathy for Lady Vengeance“ als letzter Teil einreiht.

Gewaltdarstellungen in Filmen sind sicherlich zu hinterfragen. Macht exzessive Gewalt als Hauptbestandteil von Filmen Sinn? Oder fördern sie eine Abstumpfung, welche letztendlich die unglaubliche, emotionale Wucht von Gewalttaten auf unser Befinden mindert? Sicherlich: Gewalt der Gewalt wegen macht wenig Sinn. Wook jedoch behandelt nicht das Thema der Gewalt per se. Es handelt sich um das Thema der Rache und er untersucht damit einen grundlegenden Antrieb, welcher wahrscheinlich schon seit Anbeginn der Menschheit existiert und zum Teil fundamental für die Begründung von Strafsystemen ist. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, lautet der Grundsatz, welcher beispielsweise als Argument für die Todesstrafe in den USA angeführt wird. Weiterhin ist Rache, wie verschleiert auch immer, wahrscheinlich der hauptsächlichste und häufigste Antrieb von Mördern.

In „Sympathy for Mr. Vengeance“ gelangen die Hauptfiguren in eine Spirale der Gewalt, angetrieben von Rachegedanken. Grundlegend dafür ist der Bedarf an einer Niere und den Kosten dafür. Krank ist die Schwester von Ryu. Er ist ein taubstummer, junger Mann mit grün gefärbten Haaren. Er möchte zunächst seine eigene Niere spenden, doch ist er als Spender nicht geeignet; seine Schwester würde das sowieso nicht wollen. Als er eine Niere von Organhändlern erstehen möchte, mit dem Geld seiner Abfindung, wird er hinters Licht geführt: Einerseits fehlt nun das Geld für die Operation seiner Schwester, als plötzlich eine passende Niere gefunden wurde, andererseits führt der Kontakt zu den Händlern dazu, dass er selbst eine Niere verliert.

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Und im Folgenden das, was das Wertvolle des Filmes ausmacht: In der ersten Hälfte geht es nicht primär um Rache, sondern um eine Idee. Existieren gute Kindesentführugnen? Ryus Freundin beschreibt einen Plan, (man würde ja lediglich von den schlimmen Entführungen in den Medien hören), welcher beinhaltet, ein Kind reicher Eltern zu entführen und dem Kind eine gute Zeit zu bereiten. Das einzige Problem wäre, dass das Kind es viel zu gut bei den Entführern hätte, es würde sich zu wohl fühlen, vielleicht sogar bleiben wollen. Zu beachten: Es handelt sich dennoch um den ersten Akt der Rache, schließlich schlägt die Freundin des Protagonisten vor, das Kind des Mannes zu entführen, welcher Ryu feuerte.

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Dieser Teil der Erzählung wurde exzellent umgesetzt. Der minimalistische Gebrauch von Musik und einer sehr fein definierten Geräuschkulisse, gepaart mit schwarzem Humor und einer wirklich interessanten Gestaltung der Charaktere wirkt wie aus einem Guss, es passt perfekt. Besonders Ryu ist ein hervorragender Charakter, welcher wenig offenbart. Stets wird dadurch ein Gefühl der Kälte dargeboten: Als würde man einen Streit in der Ferne aus einem Fenster beobachten, aber man kann nicht so recht hören und jedes Wort verstehen. Trotzdem, wegschauen ist nicht möglich. Der Zuschauer wird nicht an der Hand geführt. Die hervorragende Komposition der Bilder ist vom Zuschauer zu untersuchen, die Gedanken der Handelnden werden nicht direkt offen gelegt, auch wenn die Handlungsmotivationen klar sind. Entweder sagen sie, was sie denken, oder es erscheinen die Gedanken des Protagonisten Weiß auf Schwarz auf dem Bildschirm. Trotzdem: Es steckt mehr dahinter, und das wissen wir, unter anderem wegen der Art und Weise, wie die Bilder transportiert werden. Die Form macht es geheimnisvoll, spannend.

Der Stil unterscheidet sich grundsätzlich von „Oldboy“ oder „Sympathy for Lady Vengeance“, welche sehr viel stärker stilisiert wirken. Die Farben sind in diesen Filmen krasser, die Figuren deutlicher gezeichnet und Dialoge gradliniger. „Sympathy for Mr. Vengeance“ hingegen lebt von einer inneren Ruhe. Den einzelnen Szenen und Momenten wird mehr Zeit gegeben, um ein langsames Eintauchen zu ermöglichen. Wir befinden uns nicht auf einer Achterbahnfahrt, sondern in einer Meditation. Bisher, alles perfekt. So wird’s gemacht.

Etwa nach einer Stunde des Filmes gelangen wir zum Höhepunkt: (Wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte diesen Absatz nicht lesen: Es ist emotional!) Ryus Schwester nimmt sich das Leben. Als Ryu seine Schwester an einem Gewässer unter Steinen begraben möchte, stirbt das entführte Kind, da es ins Wasser fällt und ertrinkt. Ryu denkt sich, dass er sie hätte retten können. Schließlich merkt er, dass erals erwachsener Mann im Wasser stehen könnte. Doch war er zuletzt als Kind am Gewässer. Seine Gedanken daran hindern ihn ins Wasser zu gehen, da er nicht schwimmen kann und das Wasser in seiner Erinnerung er zu hoch stand.

Durch Konsistenz, Ruhe, und geschickt gesetzten und gut kalkulierten emotionalen Momenten bereitet die gesamte erste Hälfte diese Wendung vor, welche letztendlich die Spirale der Rache und Gewalt auslöst. Im Zusammenspiel aller Elemente erlangen diese Geschehnisse zur Mitte des Filmes eine unglaubliche emotionale Wucht, was perfekt zum Racheschwerpunkt des Titels passt. Geschehnisse, die in der Realität zu Rachegedanken führen, müssen ebenfalls mit jener Rasanz enorme, tiefgründige Emotionen hervorrufen, welche schließlich aus Menschen Mördern machen. In Anbetracht der Handlung sind mehrere, unterschiedliche Entwicklungen präsentiert worden, die ohne Frage Rachegedanken ausgelöst haben sollten. Um die Verwirklichung jener geht es in der restlichen Zeit des Filmes. Unter Anderem auch um die Idee, dass Gewalt zu mehr Gewalt führt. Besonders im letzten Viertel des Filmes wird stilistisch einiges geboten. Es gibt sicherlich ein oder zwei Szenen, welche meisterlich komponiert wurden, die innere Ästhetik der ersten Hälfte besitzen und sogar verfeinern, und so möglicherweise sogar die besten Szenen der ersten Hälfte übertreffen.

Doch verliert Park Chan Wooks Werk den Zuschauer direkt am Anfang der zweiten Hälfte. Plötzlich geht alles zu schnell. Dabei wird nicht nur der gesamte Stil der ersten Hälfte aufgebrochen. Vielmehr geht die gesamte, aufgebaute innere Ästhetik zunächst verloren. Man hat das Gefühl, als würde der Film versuchen, zu viel zu erklären. Wie in einem schlechten Vortrag greift der Präsentierende im Ideenraum hin und her und verliert eine klare Linie, als würde er selbst nicht klar vor Augen haben, was er sagen möchte. So zitierte einer meiner Freunde Einstein: „Wenn man es nicht einfach erklären kann, hat man es nicht verstanden.“ Schon öfters habe ich gelesen, dass der Film langweilig sei, und ich vermute, dass gerade dieses dritte Viertel der Grund dafür ist. Wäre eine klarere Struktur geschaffen worden um die Erzählung plausibler und tiefgründiger zu gestalten, würde der Film mit ganz anderen Augen gesehen werden. Denn: Konsistenz ist eine notwendige Bedingung eines Klassikers.

Dieser Übergang wäre geeignet gewesen, um den folgenden, stilistisch anspruchsvollen und hochwertigen Rachedarstellungen Sinnhaftigkeit zu verleihen. Während die erste Hälfte meiner Ansicht nach dafür mit der gewaltigen, emotionalen Tiefe alleinstehend in der Lage gewesen wäre, bildet das Stück danach den erklärenden Übergang. Was hätte sein sollen: Dieser Teil, wie lang auch immer er hätte sein müssen, sollte für eine sinnvolle Gewaltdarstellung im Folgenden eine tiefgründige Analyse der entstehenden Kognitionen und Handlungsmotivationen der Figuren bieten. Stattdessen: Oberflächliche und übereilt wirkende Entwicklungen führen dazu, dass der Zuschauer das Interesse verliert. Darüber hinaus verschleiern sie den Effekt des vorangehenden, starken emotionalen Moments.

Was danach kommt, ist teilweise grandios, kommt jedoch nicht an das insgesamt stimmige Bild der genialen ersten Hälfte heran. Unter anderem scheint in bestimmten Momenten der Spannungsbogen nicht geeignet aufgebaut worden zu sein. Vielleicht, weil weiterhin zu viel in zu kurzer Zeit passiert, was die Momente an ihrer emotionalen Entfaltung hindert. Das geschieht möglicherweise bewusst, um den eigentlichen Racheakt abzuwerten. Sollte dem so sein, stimmt die Form mit der Aussage überein. Äußerungen und Reaktionen von Figuren sprechen für diese These. Andererseits, wenn der Abschnitt nicht in der Lage ist eine wie auch immer geartete Begeisterung beim Zuschauer auszulösen, kommt jene Idee auch nicht an. Die letzten Minuten des Films haben mir nicht so gut gefallen: Es war einfach ein bisschen zu viel, und deshalb ein bisschen zu wenig. Und damit meine ich nicht die Gewalt.

„Sympathy for Mr. Vengeance“ ist ein Werk, das dazu geeignet ist, das große Talent des genialen Park Chan Wook aufzuzeigen. Es offenbart eine andere Seite des Oldboy-Schöpfers. Mit diesem Werk macht Park Chan Wook eindeutig klar, dass er ein außerordentlich vielseitiger Regisseur ist. Jedes einzelne Werk der Rachetrilogie zeichnet sich durch einzigartige Merkmale aus. Leider wirkt das Werk nicht konsistent. Die zweite Hälfte des Filmes wird inhaltlich dem offensichtlichen hohen Anspruch des Filmes nicht gerecht, welcher sich in einer grandiosen, künstlerischen Gestaltung widerspiegelt. Einerseits benötigte der Film mehr Zeit, andererseits eine tiefere Auseinandersetzung mit den höchstinteressanten Ansätzen der Behandlung des Rachethemas. Dennoch: Das Gefühl, während die Credits beginnen, ist einzigartig. Grausam. Eine innere Leere, die dennoch Bedeutung trägt.

3 von 5

 

Bild: Aus „Sympathy For Mr. Vengeance“,3L Vertriebs GmbH & Co. KG, 2002

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