Wonder (2017)
Wer meint, in der Winterzeit mit Oma und Opa, den quengelnden Kindern und Partner einen Wohlfühlfilm im Kino sehen zu müssen, der möglichst unpolitisch und wenig kontrovers sein soll, der könnte hier eigentlich aufhören, die Kritik zu lesen.
Wonder erfüllt alle diese Anforderungen mit Bravour.
August, „Auggie“ Pullmann leidet seit seiner Geburt aufgrund eines Gendefektes unter einem stark entstellten Gesicht. Nach Jahren des Hausunterrichts durch seine Mutter soll er nun die fünfte Klasse an einer High-School bestreiten. Auggie und seine Familie versuchen nun mit dieser für ihn völlig neuen Situation zurechtzukommen.
Der Plot klingt simpel und vorhersehbar und ist es auch. Dem zu trotze könnte es sich dennoch um einen guten Film handeln, wie etwa Paddington 2, der Nachfolger des 2015 erschienenen Überraschungshits, eindrucksvoll belegte. Leider ist Wonder kein guter Film.
Der Film leidet nicht nur darunter im Kern eine althergebrachte Geschichte zu erzählen, die mit Charakteren gefüllt ist, wie man sie schon dutzende Male gesehen hat, er definiert auch das Gegenteil der Subtilität neu. So wird etwa Auggies aufkeimende Freundschaft mit Jack Will, einem seiner Klassenkameraden in einer Montage präsentiert, die die beiden beim Herumtoben und spielen zeigt. In dem dazu eingespielten fröhlich klingenden Lied, trällert ein Sänger „we’re going to be friends“ ins Mikrofon.
Diese, beinahe Momente vermitteln in Verbindung mit der vorhersehbaren Handlung und den eindimensionalen Charakteren stellenweise dem Zuschauer das Gefühl er sehe gerade eine Parodie. Das Ende des Films, welches den Zuschauer, einem Herrn der Ringe gleich, erst nach drei vermeintlichen Enden erwartet, lässt den Zuschauer schließlich nur noch die Hand mit Schwung gegen die Stirn klatschen. Es sei hier nicht zu viel verraten, aber die Standing Ovation findet, wenn schon nicht im Kinosaal, zumindest im Film ihren Platz.
Dabei hat der Film durchaus interessante Ansätze und funktionierende Elemente, die zeigen, dass er durchaus mehr hätte sein können, als der alljährliche Kitsch zur Weihnachtszeit.
Die Dynamik zwischen den Kindern, angeführt von dem aus Room (2015) bekannten Jacob Tremblay, funktioniert und sorgt in den stärksten Momenten, etwa bei einem Rülpswettbewerb, für eine authentische, nostalgieinduzierende Atmosphäre, wie man sie zuletzte in Boyhood (2015) erlebte.
Auch die aus der Buchvorlage übernommene Entscheidung, die Geschichte stellenweise aus der Perspektive anderer Charaktere zu erzählen eröffnet, speziell in Verbindung mit der Thematik des Films durchaus interessante Möglichkeiten. Leider wird dieses Mittel lediglich dazu genutzt, das vermeintlich schlechte Verhalten einiger Charaktere in kurzen Clips im Nachhinein zu rechtfertigen. Auf diese Weise versucht der Film etwa, dem Charakter der Schwester Augusts Tiefe zu verleihen, scheitert jedoch weitestgehend. Kurioserweise aufgrund der sehr begrenzten Zeit in der er sich mit dem „übersehenen“ Kind beschäftigt.
Es bleibt ein kitschiger Film, der niemandem weh tut, der aber mit einer längeren Laufzeit, der damit einhergehenden Tiefe und der Abwesenheit des Verlangens, den Zuschauer um jeden Preis zum Weinen bringen zu wollen, so viel mehr hätte sein können.
In der ersten Szene des Films wendet Auggie sich direkt an die Zuschauer. Man sei doch gekommen um ihn zu sehen, also könne man dies schnell hinter sich bringen, sagt er und nimmt den Astronautenhelm ab, den er trägt. Ein Einstieg, der auf clevere Weise die vierte Mauer durchbricht. Leider heißt es für den Rest des Films: Gehirn aus, Tränendrüse an.
Beitragsbild: Entnommen aus dem Trailer zu „Wonder“ © Lionsgate