Unsere Wildnis

Naturdokumentationen müssen sich vorrangig an den Bildern eben jener Wildnis messen lassen, die sie präsentieren. Der Zuschauer will begeistert und fasziniert werden von der Natur, die sich oft weit abseits seiner altbekannten Umgebung aus Häusern und Straßen befindet.

Unsere Wildnis schafft es, genau solche Bilder zu kreieren. Selbst mit dem Bewusstsein, dass vermutlich an vielen Stellen getrickst wurde, stellt man sich immer wieder die Frage:
Wie konnten diese spektakulären Aufnahmen entstehen? Eine besonders prägende Szene, die diese Frage aufwirft ist die Großaufnahme eines Käfers, dessen Flug aus unterschiedlichsten Winkeln eingefangen wird, wobei der Käfer aus allernächster Nähe gezeigt wird. Doch die Regisseure Jacques Perrin und Jacques Cluzaud wollen dem Zuschauer mehr bieten als dies; als das, was er erwartet.

Zum einen reichern sie ihre Dokumentation mit reichlich Humor an. Zwar ist dies nicht ungewöhnlich, doch gelingt es immer wieder, den Kinobesucher mit selten gesehenen Slapstick-Witzen zum Lachen zu animieren.
Drei Eulen, die sich mit Ganzkörperbewegungen deutlich machen, dass sie den anderen beim Ergreifen der Beute den Vortritt lassen. Auch kleine Vögel die aus ihrem Baum hervorschauen, wenn zwei Pferde sich gegenseitig an die Kehle gehen und verwirrt durch das sich ihnen bietende Spektakel den Kopf neigen und verwundert dreinschauen, bringen das Zwerchfell in Bewegung.

Zum anderen hat das durch die Regisseure Vermittelte einen ganz klaren Kern: Diese wunderschöne Umwelt ist erhaltens- und schützenswert. Um das deutlich zu machen, ertönt aus dem Off immer wieder die Stimme Sebastian Kochs, der davon erzählt, wie großartig das „Goldene Zeitalter“ des Waldes gewesen sei und wie schrecklich nahezu alle Einflüsse des Menschen auf die Umwelt seien.
Was die Filmemacher anscheinend nicht begreifen ist, dass jede Tierdokumentation von Natur aus bereits dazu anregt, diese zu wertzuschätzen. Sie indirekt, durch die Leinwand, zu erleben und zu begreifen reicht aus, um dem Zuschauer zu vermitteln, wie schützenswert sie ist. Es wäre weitaus besser gewesen, einfach die Bilder für sich sprechen zu lassen, anstatt die sich organisch ergebende Botschaft immer wieder laut auszusprechen.

So fühlt sich die Dokumentation beinahe misanthropisch an, wird durch nahezu alles verdammt, was der Mensch in seiner langen Geschichte geschaffen hat. Zusammen mit zahlreichen offensichtlich gestellten Szenen, die es in dieser Form in der Natur nie geben würde (von einer Herde Wildpferde, die im Wald von einer Horde Wölfe verfolgt werden hat wohl noch kein Biologe gehört), macht dies Unsere Wildnis vom schönen zum problematischen Film.

Er präsentiert uns eine Natur, die es nicht gibt und verurteilt jede menschliche Aktivität, die in dieses künstlich verschönerte System eingreift. Mehr unkommentierte Natürlichkeit wäre hier mehr Kunst gewesen.

Bild: Entnommen aus dem Trailer von „Unsere Wildnis“ (2015) © Universum Film

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