Sierra Burgess Is A Loser
Bei „Sierra Burgess Is A Loser“ (2018) handelt es sich um eine Netflix Produktion von Regisseur Ian Samuels. Schon seit Wochen plagt mich YouTube mit einem kurzen Trailer, um für diesen Film zu werben.
In einer Szene wird die Nummer von Sierra Burgess an einem jungen Mann weitergegeben: Von der Schulschönheit, dessen Nummer er eigentlich erfahren wollte. Es entsteht ein Kontakt zwischen Sierra Burgess und Football-Spieler Jamey. Theoretisch, so die geniale Prämisse, würden zwei Welten aufeinandertreffen. Doch auf wundersame Weise verstehen sich Sierra Burgess, offenkundig eine Loserin, und der hotte Typ zumindest im Chat und in Telefonaten ganz ausgezeichnet.
Eine universelle Identifikationsfigur
Sierra Burgess ist insgesamt ein sehr gebildetes Mädchen, ist außerordentlich talentiert (etwa in der Musik oder Poesie) und scheint eine entsprechende Grundlage genetisch vererbt bekommen zu haben: Regelmäßig zitiert ihr gebildet wirkender Vater aus Romanen, um Situationen mit Worten auszumalen oder Gedanken zu transportieren. Sierra bezeichnet ihn als Genie. Ihre Mutter ist ebenso erfolgreich. In der Zeichnung der Familie verlieren wir uns ebenso in Stereotypen wie in der Zeichnung der Person selbst. Um der Zielgruppe eine möglichst universelle und zugängliche Identifikationsfigur zu geben, scheint dieses glatte Porträt einer normalen Familie des Bildungsbürgertums durchaus geeignet zu sein. Macht jener Weichzeichner jedoch Sinn?
Um ein paar weitere Stereotypen einzuführen, folgende weiteren Eckpunkte: Sierra Burgess wird in der Schule gemobbt, sie sei hässlich. Trotz des Mobbings wirkt sie wie ein überaus selbstbewusster Mensch und trotzt den dummen Sprüchen mit ihrem Wissen und ihrer Eloquenz. Tatsächlich reicht jene Figur nicht in tiefere, differenzierte Gefilde einer Persönlichkeit, einer Person, stolziert durch die gesamte Spieldauer mit jener oberflächlichen Zeichnung.
Ihren Mobbern, Cheerleader, hingegen, scheint es an Intelligenz zu mangeln. Insbesondere Veronica scheint Sierra Burgess das Leben schwer zu machen: Bezeichnet sie sogar als Frodo! Sierra Burgess kontert voller Stolz mit der Annahme, dass Veronica sich wohl täuschen müsste – sie hätte doch wahrscheinlich Quasimodo gemeint, und unterstreicht ihr Wissen mit einer sozialkritischen Interpretation jener Figur. Und tatsächlich: Die Filmemacher haben es geschafft, sich an jenen stereotypischen Bullshit entlang zu hangeln, um eine ganz und gar unglaubwürdige Geschichte zu konstruieren.
Zwei Welten
Veronica, diejenige, die Sierra Burgess Nummer an Jamey weitergab, möchte ihren Ex Spence wieder zurückgewinnen. Dabei handelt es sich um einen dieser unscheinbaren, deshalb coolen, tiefgründigen Typen. Wie passend, dass Sierra Burgess die visuelle Erscheinung von Veronica benötigt, um etwa Videotelefonie mit Jamey zu betreiben oder ihm Bilder zu senden. So kommt es dazu, dass Veronica und Sierra Burgess sich zusammentun: Sierra lehrt Veronica Grundbegriffe der Literatur, Philosophie und Poesie. Im Gegenzug hilft Veronica Sierra bei ihrer Scharade.
Doch hey, hier möchte uns der Regisseur etwas sagen: Veronica ist gar nicht so perfekt, und es gibt Gründe dafür, warum sie sich so asozial verhält! In ihrer Familie ist einiges im Argen! Und noch etwas: Veronica merkt plötzlich, dass Sierra gar nicht so verkehrt ist, sogar klug und witzig, eine nette Freundin. Das war’s auch schon.
Weiter geht’s…
Die doch so selbstbewusste Sierra Burgess ist nicht nur ein sehr sensibles Mädchen, nein, sie ist überaus ängstlich und wird letztendlich sogar richtig mies; versteckt sich hinter einer erbärmlichen Maske. Denn: Sie verabredet sich mit Jamey. Auf das Date geht letztendlich Veronica, während Sierra Burgess stets in ihrer Nähe bleibt. Letztendlich soll es nach einem tiefen, gedanklichen Austausch (Sierra Burgess steht per Textmessanger im Kontakt, übermittelt, was Veronica zu sagen hat) zum Kuss kommen. Veronica erschrickt, hält Jamey die Augen zu, er solle sie nicht öffnen, Sierra nähert sich, küsst ihn.
Sierra Burgess stünde nun in der Pflicht, Jamey die Wahrheit zu offenbaren. Sie nimmt sich dieses auch vor, kann sich jedoch nicht überwinden. Als sich Jamey und Veronica in der Schule treffen kommt es jedoch zur emotionalen Eskalation – Jamey küsst Veronica. Der klugen Sierra gefällt das ganz und gar nicht: Ein Foto, bei dem es zwischen Spence und Veronica zum Kuss kam, wurde während eines Football-Spiels von Jamey auf die Anzeige projiziert. Zusätzlich beinhaltete das Bild die rufschädigende Information, dass Veronica sitzen gelassen wurde.
Wie bitte?
Die erste Konsequenz erscheint die einzig Plausible zu sein: Jamey ist schockiert. Die beiden jungen Mädchen könnten ihm gestohlen bleiben. Doch wer hätte das gedacht – letztlich sei Sierra Burgess für Jamey überaus perfekt, genau sein Typ. Da holt er sie doch tatsächlich überraschend zum Schulball ab. Und auch Sierra Burgess und Veronica umarmen sich letztendlich freundschaftlich. Das letzte Bild: Sierra, ihr nerdiger Freund (den sie übrigens stark vernachlässigte), und Veronica umarmen sich. Gute Freunde eben. Eine Welt der Harmonie.
Handlungstechnisch erzeugen die moralischen Implikationen eine Gänsehaut: Das widerwärtige Verhalten von Veronica und Sierra wurde mit einem herben, emotionalen Weichzeichner romantisiert. Um die damit einhergehenden Aussagen zu relativieren, ist eine alberne inszenatorische Aufbereitung geeignet, die für eine Entfremdung und Entmenschlichung sorgt. In diesem Fall wird man jedoch den Eindruck nicht los, dass Regisseur Ian Samules auf absurde Weise kommunizieren wollen würde, tatsächliche Aussagen treffen möchte; einen gut-gemeinten Ratschlag geben will. Es sich somit eben nicht um eine alberne Komödie handelt. Dies wird aufgrund emotional-dramatischer Szenen evident – hier werden Figuren zu Personen, die eine Identifikationsgrundlage bieten.
Fazit
Von einem überaus einfachen Menschenbild und mickrigen Aussagekraft abgesehen, ist „Sierra Burgess Is A Loser“ aus oberflächlichen Ideen gestrickt: Wäre das Gesamtwerk in sich überzeugend, wären jene Ideen gefährlich, transportieren sie doch eine Moral der Gleichgültigkeit, des kurzfristigen Affekts, der übereifrigen Konsequenzlosigkeit. So jedoch verpufft dieses Werk glücklicherweise in überwältigender Irrelevanz. Und was das nun für junge Menschen bedeutet, die sich ihrer Person unsicher sind, eventuell durch soziale Ängste gehemmt sind? Keine Ahnung. Ich bin mir sicher, dass Regisseur Ian Samuels an diesem Punkt ansetzen wollte. Doch darüber konnte er niemanden etwas erzählen, erst recht nicht jungen, reflektierten Personen, die tatsächlich in einer sozialen Dynamik benachteiligt sind und deswegen psychisch leiden.
Bild: © Netflix 2018