The Old Man & the Gun

Bei „The Old Man & the Gun“ handelt es sich um einen Spielfilm, welcher von einem gleichnamigen Zeitschriftenartikel inspiriert wurde. Jener Artikel von David Grann erschien im Jahre 2003 im „The New Yorker“ und versprüht einen einnehmenden Charme. Der Untertitel ist bezeichnend für den Halunken Forrest Tucker, welcher in jenem Artikel und im Spielfilm porträtiert wird.

“Forrest Tucker had a long career robbing banks, and he wasn’t willing to retire.”

Wer kennt die Geschichten des Hochsicherheitsgefängnisses Alcatraz nicht: Zu den bekanntesten Insassen gehörten etwa Al Capone; wegen seiner Lage auf einer Insel, umgeben von unruhigen Gewässern galt es als ausbruchsicher. Doch gelang Forrest Tucker mit einem blauen Kanu die Flucht. Er beschriftete es mit dem Namen „Rub-a-Dub-Dub“. Waller, mit welchem er flüchtete, attestierte, dass das Boot wunderschön gewesen wäre: Er wünschte sich, dass seine Augen so blau wären, wie das Boot selbst. Forrest Tucker wird im Artikel als Ausbruchskünstler beschrieben. Als jemand, der die Kunst des Banküberfalls perfektioniert hätte  – als eine Person, die ihren Lebenssinn im weitestgehend gewaltlosen Verbrechen findet.

Im Film „The Old Man & The Gun“ von David Lowery handelt es sich in gewisser Hinsicht um eine perfekte Version des Forrest Tuckers, welcher im New Yorker beschrieben wurde. Verschiedene Szenen aus dem Zeitungsartikel wurden übernommen – jedoch auf die Spitze getrieben. Und es funktioniert. Aus einer spannenden Person namens Forrest Tucker wird ein ideales Porträt gemalt.

SENIOR CITIZENS STRIKE AGAIN!

Es handelt sich um einen der wenigen Fälle, bei denen ein Film von seinem Hauptdarsteller kaum zu trennen ist. Im Gegenteil, scheint dieser Film ohne den Hauptdarsteller unmöglich: Wer könnte Forrest Tucker besser spielen, als Robert Redford. In seinem inzwischen hohen Alter ist er nicht nur eine interessante Erscheinung, sondern ein Symbol. Besonders in Anbetracht dessen, dass es sich laut eigenen Aussagen um die letzte Rolle des Schauspielers handeln soll, sind alle Augen auf ihn gerichtet. Er steht im Rampenlicht; genau dies wird sowohl inhaltlich als auch stilistisch im Film repräsentiert.

Der Film setzt in einer Zeit an, in welcher Forrest Tucker bereits ein stattliches Alter erreicht hat. Zwar organisiert er verschiedene Raubzüge mit älteren Kollegen, doch so steht er stets im Mittelpunkt der sogenannten “Over-the-Hill Gang“ – und der szenischen Ausgestaltung. Stets wird dabei ein Hauptattribut des Mannes herausgestellt: Sein unglaublicher Charme. Obwohl es sich bei Forrest Tucker auf dem Papier um einen Schwerverbrecher handelt, hat er eine faszinierende Wirkung. Sein Handeln wird von den Opfern reflektiert, er wird als Gentleman betitelt und als Zuschauer erlebt man genau dies.

“You got to hand it to the guy—he’s got style.”

Jene Worte wurden laut einem Zeitungsartikel von einem Geschworenen ausgesprochen, welcher zur Inhaftierung des Ausbruch- und Überfallkünstlers beigetragen hat. Dieser besondere Stil wird im Film mehrfach detailliert herausgearbeitet: Stets bestens gekleidet möchte er scheinbar mit einem Angestellten der Bank ein Geschäft machen. Als er gefragt wird, um welche Art Geschäft es sich handeln würde, öffnet er seine Jacke und offenbart seine Pistole. In einer Situation fragt er dabei etwa den Manager, wie es ihm denn gehen würde – stets bleibt er menschlich, stellt einen Kontrast zur typischen, chaotischen Überfallsituation, in welcher hektisch in die Luft geschossen wird und Panik ausbricht. Er lobt sogar die Angestellten, nutzt einen beruhigenden Unterton, flirtet. Ein Markenzeichen ist ein Gerät, das er am Gesicht trägt. Es wird von einem Zeugen etwa als Hörgerät bezeichnet – doch handelt es sich um einen Empfänger, welcher den stillen Alarm abhören sollte und ihm damit zur rechtzeitigen Flucht verhilft. Nie kommt jemand zu körperlichem Schaden.

“God, he used to be so handsome,” she said. “When I met him, he was a doll.”

Jenen Charm strahlt Forrest Tucker, perfekt personifiziert von Robert Redford, auch in seinem Verhalten im Umgang mit der Damenwelt aus. Regisseur David Lowery befindet sich bei der Darstellung des Verbrechers auf einem schmalen Grat zum großen Kitsch. Hin und wieder möchte man meinen: Hier wurde eine Grenze überschritten – eben, weil die Zeichnung unglaubwürdig wäre. Doch es funktioniert und entfaltet seine Wirkung, wird Schritt für Schritt durch weitere romantische Ideen angereichert. Grund dafür ist ausschließlich Robert Redford. Als Symbol kann er jenes Porträt tragen; ihm eine authentische Erscheinung geben. Aus großen Kitsch wird so ein großartiger, ikonischer Kitsch – so eigenartig es klingt. So trägt jenes Bild die warme Atmosphäre, die Forrest Tucker und den Spielfilm über die Laufzeit begleitet.

“I think he wanted to become a legend, like Bonnie and Clyde”

Es stellt sich die Frage, ob ein Film funktionieren kann, welcher einen so starken Weichzeichner nutzt, um eine Persönlichkeit zu definieren. In meinen Augen handelt es sich um ein klares Ja. Es ist kein Film, der moralphilosophische Aussagen treffen möchte – auch ist es nicht sein Ziel, ein differenziertes Abbild des Menschen zu zeichnen. Man spürt, dass die Kunst dieses Werkes darin liegt, ein Porträt zu malen; eine Idee zu injizieren. Der Wert des Filmes findet sich in der Schöpfung einer Figur, die perfekt in einer warmen Stimmung harmoniert. Obwohl Forrest Tucker nicht authentisch ist, ist er nichtdestotrotz interessant – man erinnert sich an Figuren wie Frank Abagnale in Catch Me If You Can, welcher in ähnlicher Weise gezeichnet wird. The Old Man & The Gun hat das Potenzial, Kult zu werden.

Ab dem 31.1.2019 im Kino

Beitragsbild: (c) 2018 dcm