All The Money In The World
Und wir werden ihn mögen: Nicht, wegen der Kontroversen. Nein, wegen eines gemeinen, geizigen, arroganten, ja, überaus charakterstarken alten Mannes. „All The Money In The World“ lebt und atmet durch das unterhaltsame Porträt des damaligen (1973) reichsten Mannes der Welt J. Paul Getty, Öl-Tycoon, von Ridley Scott in die menschliche Gestalt des Schauspielers Christopher Plummer gezeichnet. Und vorweg: Warum Kevin Spacey versteckt in Maske wenn man doch auch einen Schauspieler engagieren kann, welcher die Figur tatsächlich in eigener Gestalt authentisch verkörpern kann? Gut, dass Ridley Scott seinen Willen durchsetzen konnte.
Ein tatsächlicher Entführungsfall wird von Scott in Szene gesetzt, nämlich die Entführung von John Paul Getty III, dem Enkelsohn des Mannes im Besitz allen Geldes der Welt. Man stelle sich ein eindrucksvolles Hin- und Her von Lösegeldsummen, Telefonaten, Fluchtversuchen und so weiter vor. Auf der einen Seite präsentiert sich seine Mutter voller Sorge, die mit aller Kraft versucht den Jungen zu befreien. Auf der anderen Seite steht der Milliardär J. Paul Getty auf einem Podest, wird als ganz und gar außerordentliche Figur präsentiert. Die Mutter, mittellos, weil vom Sohn des Ur-Gettys getrennt, mit Verzicht auf Unterhalt, bettelt förmlich um Unterstützung des Reichen, welcher wiederum Nachahmer fürchtet.
Immer dann, wenn Christopher Plummer spielt, atmet der Film einmal tief ein. Es folgt eine inhaltliche Fortsetzung der Geschichte, bis die Luft wieder ausgeht, und plötzlich ist die Figur des Milliardärs wieder da, und ja, er atmet wieder ein. Obwohl es sich um einen insgesamt brisanten Entführungsfall handelt, liegt der signifikanteste kreative Eingriff in der Zeichnung des Milliardärs. Zwar kratzt Scott stets bloß an der psychologischen Oberfläche, doch handelt der Charakter dabei so absurd, dass er den gesamten Film positiv überstrahlt, weil jene Absurdität unterhaltsam ist.
Was fehlt, ist eine emotionale Authentizität. Eine Art Verbindung zu den Charakteren, welche uns mitfühlen lässt. Letztendlich erscheinen uns die Akteure stets als fiktive Figuren. Sie strahlen nicht die bittere Realität aus, die solch ein Entführungsfall mit sich trägt. Außerdem handelt es sich nicht um eine fiktive Karikatur des allgemeinen, reichen Geizkragens. Getty Senior handelte dementsprechend als reale Person: Als sein Sohn um die Lösegeldsumme bat, begründete er seine Weigerung mit der Aussage, dass es ja Nachahmer geben könnte. Später, sein Enkel inzwischen mit (oder eben ohne) abgetrenntem Ohr, zahlte Getty lediglich eine Summe, die sich von der Steuer absetzen ließ. Weitere notwendige Beträge vergab er als Darlehen mit einer Zinsrate von 4% an den Sohn.
Trotz der tragenden Funktion der Figur fehlt mir Klarheit bezüglich der Intentionen des Regisseurs: Wollte er bloß unterhalten oder sollte es sich um eine tiefere Auseinandersetzung mit der Figur handeln? Schließlich ist ebenjene Figur dafür verantwortlich, dass dieser Entführungsfall so besonders war. In beiden Fällen würde das Fazit ähnlich lauten. Wir werden uns bloß an eine gelungene, unterhaltsame Karikatur zurückerinnern, an nicht mehr, und nicht weniger, sind nicht intellektuell angeregt oder beeindruckt, sehen keine originelle Idee. Wir werden uns denken: Ja, eigentlich war der doch ganz gut. Insbesondere dieser geizige, alte Kauz hat es mir angetan.