The Revenant – Der Rückkehrer

Leonardo DiCaprio hat nicht nur eine Vorliebe für historische Stoffe (The Aviator, J. Edgar, Gangs of New York, Der große Gatsby), er führt offenbar auch eine Liste, auf der er sich nach und nach an den großen Regisseuren unserer Zeit (Scorsese, Tarantino, Eastwood, Mendes, Spielberg, Scott, Allen) abarbeitet. Es scheint daher nur folgerichtig, dass DiCaprio sofort ja gesagt haben soll, als Alejandro Gonzales Inarritu ihn für die Hauptrolle seines neuesten Projektes The Revenant gewinnen wollte. Der Mexikaner, der bei der letztjährigen Oscarverleihung für Birdman mit drei Awards (Best Picture, Best Screenplay, Best Director) ausgezeichnet wurde und damit als einer der aufregendsten Autorenfilmer der Gegenwart gilt, inszeniert in seinem neusten Werk den in die amerikanische Folklore eingegangenen Rachefeldzug des Trappers Hugh Glass.

Dessen Geschichte ist schnell erzählt. Als Glass 1823 mit einer Gruppe Trapper unter der Führung von dem jungen Captain Henry auf der Jagd nach Fellen im Mittleren Westen unterwegs ist, wird er von einem Grizzlybären angefallen und schwer verletzt. Der Trapper John Fitzgerald wird beauftragt, den scheinbar tödlich verwundeten Glass zu einem viele Meilen entfernten Militärstützpunkt zu bringen; der rassistische Fitzgerald willigt ein, doch ermordet kurz darauf Glass‘ halbindianischen Sohn und überlässt dem schwerverletzten Glass in der Wildnis sich selbst. Mit tiefen Wunden und gebrochenem Bein kämpft Glass um das nackte Überleben und schwört auf Rache.

Es ist dem Künstler Inarritu zu verdanken, dass dieser vordergründig banale Plot nicht bloß hollywoodtypisch zu einer actiongeladenen Anekdote aufgeblasen wird, sondern dass der Film mehr zu erzählen weiß, als den physischen Kampf um Rache und Überleben. Die Produzenten des Projekts werden wohl geschluckt haben, als die Produktionskosten plötzlich dreistellige Millionbeträge erreichten, Dimensionen, die man sonst so nur von publikumsaffinen Blockbustern kennt, aber die Beharrlichkeit Inarritus, sämtliche Szenen an echten Schauplätzen in Kanada und Südamerika zu drehen und während der Aufnahmen durch den vielfach ausgezeichneten Kameramann Emmanuell Lubezki vollständig auf künstliches Licht zu verzichten, zahlt sich aus. Nie wirkte auf der Leinwand der Wilde Westen so wild wie hier, nie thronten karge Bäume so erhaben und bedrohlich in Winterlandschaften, nie rollten reißende Flüsse so rein und gewaltig Richtung Süden. Es ist, als seien wir selbst ein Trapper, als säßen wir selbst in einem der winterkahlen Wälder auf einem Baumstumpf zwischen diesen zerrissenen und zerfurchten Gestalten mit ihren Fellen, ihren filzigen Haaren, ihrer derben Kleidung, seien es nun Franzosen, Engländer oder Indianer. Held und Antagonist außen vor, gibt es in dieser anarchischen Welt kein Gut und kein Böse, der Film zeigt uns das Ringen der Einheimischen und der Eroberer gegeneinander und untereinander, Indianer handeln mit Europäern und kämpfen mit Europäern, beschützen einander oder bekämpfen sogar sich selbst. Hier findet man keine politischen Statements, hier ist alles so verworren, wie Geschichte immer war, einfache Wahrheiten gibt es fern der Odyssee um Hugh Glass nicht.

Für dessen Hintergrund findet Inarritu buchstäblich traumhafte Motive, der Geist von Glass‘ verstorbener indianischer Frau leidet mal in einem von Engländern gebrandschatzten Indianerdorf, wandert mal zwischen hohen Bäumen hindurch unter wolkenverhangenen Himmel, schwebt mal über tiefen Schnee auf steilen Berghängen. Abgesehen von diesen Sequenzen wird die Bindung von Glass zu Frau und Sohn nur angedeutet, dass wir ihr Gewicht und ihre Bedeutung für Glass trotzdem erahnen können, liegt an der grandiosen Leistung Leonardo DiCaprios. Der Kontrast seines subtilen Mienenspiels zu der von Natur und Grausamkeiten oft zur Unkenntlichkeit entstellten Fratze gelingt bravourös. DiCaprio schafft hier, was nur wenige Schauspieler vermögen: Seine Leistung überdeckt Schwächen im Drehbuch, er füllt die emotionalen Leerstellen, die Inarritu schon in Babel und Biutiful unterliefen. Dass der großartige Tom Hardy als Antagonist John Fitzgerald auf diesem Niveau Paroli bieten kann, entschädigt für die manchmal etwas zu einfach geratene Rivalität der beiden Hauptfiguren.

Inarritus neuestes Werk zeichnet ein wunderbar authentisches Porträt des frühen Wilden Westens, überzeugt mit auszeichnungswürdigen Darstellerleistungen und überragender Bildsprache. Das manchmal etwas unterkühlte Drehbuch tut dabei dem Vergnügen keinen Abbruch.

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Bild: Szenenbild aus „The Revenant – Der Rückkehrer“ © 2015 Twentieth Century Fox

 

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