Birnenkuchen mit Lavendel
Der französische Film Birnenkuchen mit Lavendel erzählt die gleiche Geschichte, die auch zahlreiche andere romantische Komödien vor ihm erzählten. Wer das Grundgerüst von Filmen dieses Genres kennt, wird bereits nach wenigen Minuten den gesamten Handlungsverlauf vorhersagen können. Die Inszenierung durch Éric Besnards, der auch für das Drehbuch verantwortlich war, beeindruckt ebenfalls nicht durch Innovativität.
Womit Besnard seinen Film jedoch aus der Masse der 0815-Romcoms herausstechen lässt, ist die Wahl des Protagonisten: Pierre, verkörpert von Benjamin Lavernhe, ist Autist.
Ein Großteil des im Film vorkommenden Humors basiert auf Pierres Verhalten in Situationen sozialer Interaktion. Gefährlich, ist doch das Potential, dass Witze diskriminieren, groß. Éric Besnard aber gelingt der Drahtseilakt: Der Zuschauer lacht nie über Pierre, sondern stets nur über dessen Gesprächspartner oder die aus dem Gespräch entstehende Situation. Zwar wirkt sein Verhalten teilweise leicht überzeichnet, ins Lächerliche wird es aber nie gezogen. Die Witze bleiben so größtenteils unschuldiger, herzlicher Natur; ein wahrer Segen im Vergleich zu den stumpfen und plumpen Witzen eines Gut zu Vögeln, das nächste Woche in den Kinos erscheint.
Pierre verliebt sich in Louise, alleinerziehende Mutter in finanziellen Schwierigkeiten, die er durch einen Autounfall kennen lernt. Die Geschichte der beiden stellt der Film in den ersten beiden Akten recht authentisch dar. Dies liegt allen voran daran, wie Éric Besnard die Charaktere zeichnet. Sie alle wirken menschlich, keiner gleicht nur annähernd einer Karikatur, keiner wirkt auf seine Funktion innerhalb der Geschichte begrenzt. Perfektes Beispiel hierfür ist eine eigentlich kleine Nebenfigur, Louises Nachbar: Der Ertrag, den ihr Obstbau abwirft ist zu gering, sodass sie als letzte Option den Verkauf von Land an ihren Nachbarn sieht. Während in anderen Filmen dieser leicht zu einer bösartigen Karikatur verkommen würde, stellt Besnard ihn als Menschen dar. Zwar mag er finanzielle Interessen haben, aber ebenso ist er auch um Louise besorgt. Die Tatsache, dass selbst solch kleinere Nebencharakter mehrdimensional angelegt sind, zeigt mit welcher Sorgfalt der Autor bei der Charaktererstellung vorging. Einzige Ausnahme bietet hier Pierres familiärer Hintergrund, der klischeehafter kaum sein könnte. Insgesamt jedoch fällt dies kaum ins Gewicht.
Im dritten Akt des Filmes erliegt Éric Besnard jedoch der Versuchung, verzichtet auf Authentizität und lässt Pierre so zum Klischee verkommen: Beinahe aus dem Nichts stellt sich plötzlich heraus, dass dieser Hacker ist. Ohne Ausbildung versteht sich, Autisten haben für so etwas schließlich ein natürliches Gespür. Damit einher geht die kriminelle Vergangenheit und die dadurch drohende Einweisung. Der Regisseur nutzt diese als Deus Ex Machina, um Pierre schließlich dazu zu bewegen Louis mit seiner Liebe zu konfrontieren.
Besnard zerstört am Ende jenes Element, das seinen Film besonders machte: Authentizität. Pierre wird vom menschlichen, liebevoll gezeichneten Autisten zum coolen Hacker und Retter von Louises Obstfarm.
Birnenkuchen mit Lavendel geht somit als Gesamtwerk im Meer der standardisierten romantischen Komödien unter. Die starken Leistungen der beiden Hauptdarsteller und die ungewöhnliche Wahl des Protagonisten gepaart mit der Authentizität der ersten beiden Akte machen den Film aber dennoch sehenswert.
Bild: Szenenbild aus „Birnenkuchen mit Lavendel“, 2015, © Neue Visionen Filmverleih