Blackbird (2019)
Kurz vor ihrem Tod bringt die schwerkranke Mutter (Susan Sarandon) ihre Familie zusammen. Ihre Töchter, die eine lebt in einem konservativen Familiengespann aus zurückhaltendem Ehemann und einem Sohn im Teenageralter – die andere in einer lesbischen Beziehung, Bipolar. Bereits in den ersten Szenen wird der Eindruck der Kälte vermittelt: Das pompöse Haus ist überordentlich eingerichtet, die Küche entspricht einer Modellküche im Möbelhaus. Eine beängstigende Repräsentation der inhaltstragenden Entscheidung des Filmes: Sie – die Mutter – möchte ihren Tod selbstbestimmt erleben.
Die Zusammenkunft hat einen Anlass: Gemeinsam mit ihrem Mann (Sam Neill) plant sie ihren Suizid. Einerseits möchte sie nicht an einem handlungsunfähigen Körper gebunden sein. Sie beschreibt die maschinelle Beatmung und die Fütterung durch einen Schlauch. Andererseits erlaubte ihr der geplante Tod, ihr restliches Leben in vollen Zügen zu genießen. Dieser Kontroll- oder gar Selbständigkeitswahn spiegelt sich darin wider, dass sie stets die Hilfe anderer ablehnt, obwohl sie bereits deutliche Schwierigkeiten im Alltag hat.
Es wirkt geradezu überpraktisch, dass ihr Ehemann Arzt ist und einen Medikamentencocktail zubereiten kann. Generell wirken dramatische Punkte konstruiert: Die beste Freundin der Mutter (Lindsay Duncan) scheint nur aus einem Grund ihren Platz in der Geschichte zu finden, nämlich um den Ehegatten in eine Affäre zu verstricken. An dieser Verbindung wird ein dramatisches Problem gestrickt, dessen Auflösung nicht überraschend ist.
Jeder Charakter wirkt emotional unglaublich abgeklärt. Emotionale Entwicklungen und Affekte wirken so kalkuliert, dass den gesamten Film über absolute Kälte herrscht – bei null Grad Celsius lässt sich keine emotionale Grundlage erschaffen, um den Argumenten des Filmes Gewicht zu verleihen. Die Idee der Kontrolle und des Kontrollverlustes (Bipolarität der Tochter) durchzieht den gesamten Film, und geradezu Plakativ wird jener Punkt zur Beantwortung des moralischen Problems der assistierten Selbsttötung herangezogen:
Bereits vor vielen Jahren wurde die Affäre ihres Ehegattens und der besten Freundin von ihr abgeklärt, gar gefordert. Dieser absolute Kontrollwunsch löscht jedweden Zweifel in der Familie aus, denn der Freitod der Frau wäre in der Natur ihrer Person verankert. Letztendlich ein valides Argument, hätte man es ausreichend unterfüttert. Doch bis auf die immer wiederkehrende Repräsentation ihres Kontrollwunsches bleibt nichts: Keine Emotionen, keine Affekte und erst recht keine Differenzierung.
Drei schwache Gegenargumente werden angerissen, nämlich: 1) Das Ersatzweihnachten, welches sie während der Familienzusammenkunft feierten, könnte sie doch noch einmal „wirklich erleben“. 2) Ärzte würden auch Fehler machen. Vielleicht hätte sie viel länger ein „lebenswertes“ Leben, als vermutet wird. 3) Ihre Töchter wären noch nicht bereit dazu, von ihr Abschied zu nehmen. Diesen Argumenten wird dabei jedoch leider keinerlei Gewicht zugeschrieben.
Stattdessen hängt alles an der Affäre und der potenziellen Befangenheit des Ehemanns bei der Entscheidung – und als diese aufgelöst wurde, scheinen alle anderen Argumente vergessen. Dieser Stoff bietet Möglichkeiten zur emotionalen Eskalation, stattdessen wird ein höchstrationaler und nüchterner Weg gewählt, um die ethischen Fragen der assistierten Selbsttötung zu debattieren. Dabei scheitert der Film voll und ganz, denn seine Argumente sind zu einfach – und erst recht zu simpel, um sich so klar und deutlich zu positionieren.
Bild: ©Film & TV House