Joy: Alles außer gewöhnlich
Ab 31.12.2015 im Kino
Joy Mangano ist das, was man eine klassische Powerfrau nennt: Die geschiedene New Yorkerin zieht allein Tochter und Sohn auf, kümmert sich um ihre lethargisch verdrossene Mutter, die die Tage mit Daily Soaps im Bett verbringt und hilft ihrem impulsiven Vater bei der Bewirtschaftung seiner Werkstatt. Dazu lebt Joys zielloser Ex-Mann Tony im Keller des Familienhauses und hängt einer gescheiterten Karriere als Sänger nach. Gefangen in den großen und kleinen Problemen dieser chaotischen Familienmitglieder erfindet Joy Mangano scheinbar nebenbei einen revolutionären Wischmop, aus dem sie gegen viele Widerstände einen Renner im Verkaufsfernsehen zaubert und ihr berühmtes Firmenimperium gründet.
David O. Russel hat aus der Erfolgsgeschichte von Joy Mangano nun einen Film gemacht. Seit einem halben Jahrzehnt feiert der Regisseur seine Wiederauferstehung von ersten Erfolgen Anfang des Jahrtausends und hat mit „The Fighter“ (2010), „Silver Linings Playbook“ (2012) und „American Hustle“ (2014) drei großartige Erfolge bei Publikum und Kritikern gelandet und wurde mit zahllose Nominierungen bei den Oscars inklusive des Awards 2012 für Jennifer Lawrence als beste Hauptdarstellerin belohnt.
In „Joy“ mischt Russel nun gekonnt die wichtigsten Elemente seiner vergangenen drei Erfolgsfilme. Im Rahmen einer auf einer wahren Begebenheit beruhenden Aufsteigergeschichte („The Fighter“) erfahren wir etwas über die Dysfunktionalitäten amerikanischer Mittelstandsfamilien („Silver Linings Playbook“) und bekommen vor Augen geführt, was kitschige Bilder des amerikanischen Traums oft vernachlässigen („American Hustle“): dass nämlich Erfolg nicht nur auf Wille, Geschick und Kreativität beruht, sondern eben auch auf Bauernschläue, Skrupellosigkeit und einer ordentlichen Portion Glück.
Das Drehbuch des Films verzichtet im Gegensatz zu Russels letzten Filmen weitestgehend auf humorvolle Pointen, überzeugt aber nichtsdestotrotz mit flotten Dialogen und einer glaubwürdigen Entwicklung seiner Hauptfigur. Dazu erlaubt sich Russel zynische Kommentare zu aktuellen politischen Debatten, wenn etwa neben der Werkstatt von Joys Vater ein Schießstand eröffnet wird, „weil Nachbarn auf ihrem Grundstück eben tun und lassen können, was sie wollen.“ Durch diese Vielfalt an Motiven sind einige der Nebenfiguren, so zum Beispiel eben jener Vater, arg schablonenhaft geraten und hin und wieder hat man das Gefühl, bestimmten Charakteren schon einmal in den vergangenen Filmen des Regisseurs begegnet zu sein. Auch kurze Ausschnitte aus der Daily Soap von Joys Mutter, die gelegentlich eingestreut werden, bremsen den Film aus, weil sie entweder plump die Handlung vorwegnehmen oder schlicht beliebig sind.
Nach ihrer Nebenrolle in „American Hustle“ vertraut David O. Russel Jennifer Lawrence in seinem neuesten Film wieder die Hauptrolle an. Die ersten Erfolge der erst 25 Jahre alten Amerikanerin in „Winter’s Bone“ und „Silver Linings Playbook“ veranlasste einige Kommentatoren bereits von einer neuen Meryl Streep zu sprechen, ein Vergleich, der sich eigentlich abgesehen von zukünftigen Auszeichnungen aus künstlerischer Sicht verbietet. Vielmehr als an Streep erinnert die Präsenz von Lawrence an einen älteren, männlichen Kollegen: Jack Nicholson. Dieser große alte Mann des amerikanischen Films war in seine Karriere eine Marke für sich: Er definierte Rollen selbst, nicht umgekehrt, ein Film mit Jack Nicholson war auch immer ein Film über Jack Nicholson. Das war deshalb einzigartig, weil die Charaktere, die Nicholson darstellte, dabei nicht an Tiefe verloren, sondern gewannen. Etwas Ähnliches lässt sich über Jennifer Lawrence sagen. Im Gegensatz zur vielzitierten Streep vergisst man nie, wen man da auf der Leinwand vor sich sieht, aber Jennifer Lawrence ist ähnlich wie Jack Nicholson so authentisch, dass sie Emotionen zu wecken vermag, die ihre Rollen eigentlich gar nicht hergeben. Die enorme Bandbreite an nuancierten Gefühlen, die Jennifer Lawrence in ihrem neusten Film bedient, ist außergewöhnlich. Auch wenn dem Film aufgrund einiger durchwachsener Kritiken das Momentum fehlt, um der jungen Schauspielerin in diesem Jahr erneut einen Oscar zu bescheren, zeigt sie hier ihre bisher beste und reifste Karriereleistung.
Auch der Rest des Casts von „Joy“ überzeugt. Bradley Cooper gibt den Manager beim Verkaufsfernsehen angenehm trocken und zurückhaltend, Edgar Ramirez ist als chaotischer Ex-Mann liebenswert, Elisabeth Röhm verkörpert die bärbeißige Schwester mit Bravour. Nur Robert DeNiro hat man inzwischen in der Rolle des etwas durchgeknallten Vaters einmal zu oft gesehen. Man wünscht sich, dass dieser große Schauspieler im Herbst seiner Karriere sein Publikum noch einmal an seinem grandiosen Talent teilhaben lässt und sich zukünftig wieder anspruchsvolleren Rollen widmet.
„Joy“ ist ein unterhaltsamer Film und ein Lehrstück über den amerikanischen Traum, das vor allem aufgrund der Leistung seiner Hauptdarstellerin zu überzeugen weiß. Auch wenn dieser Film in der Award-Season schlussendlich keine Rolle spielen wird, lohnt er doch mehr, als so mancher vielfach nominierter Konkurrent.
Bild: Szenenbild aus „Joy: Alles außer gewöhnlich“ (2015) © 2015 20th Century Fox