Milchkrieg in Dalsmynni
Das 92-minütige isländische Drama „Milchkrieg in Dalsmynni“ von Grímur Hákonarson ist simpel und ideologisch modern. In Zentrum steht der Kampf einer Frau, Inga, die einen schrecklichen Verlust durchleben musste. In ihrem Wunsch nach Rache steht sie in einem Konflikt mit der Genossenschaft, deren Mitglied sie und ihr verstorbener Mann waren. Als verarmte Milchbauern bangte das Ehepaar um ihre Existenz. Erst nach dem Tod ihres Mannes bringt Inga in Erfahrung, dass die Genossenschaft die Bauern mit mafiösen Methoden drangsaliert und ihre Monopolstellung gnadenlos ausnutzt.
Ein Manifest der Freiheit
Vor einer malerischen Kulisse bestreitet Inga einen politischen Kampf und koppelt ihre Bestrebungen mit einem zweifelhaften Aktivismus. Sie geht die Wege des Ungehorsams und sucht gleichzeitig einen politisch-strukturellen Zugang zur Problematik. An der Oberfläche zeigt der Regisseur, dass sich diese Konzepte der Gestaltung nicht gegenseitig ausschließen. Von der öffentlichen Bekanntmachung, nicht mehr an die Genossenschaft zu liefern, bis hin zu einem Milchanschlag (sie lässt einen ganzen Milchtank am Bürogebäude der Genossenschaft aus), lenkt sie die Aufmerksamkeit auf sich und ihr Anliegen und erhält damit tatsächlich Präsenz in der Presse. Fraglich ist, ob dies in ihren politischen Bestrebungen tatsächlich von Vorteil ist – denn sie provoziert.
Andererseits sucht sie sich nämlich Verbündete – proklamiert die Idee einer Milchbauernkooperative und findet einige Milchbauern, die sich ihr anschließen möchten. In einem politischen Akt kämpft sie darum, dass sich der Milchbauernverein zu einem Antrag diesbezüglich bekennt. Hier wird ein lokalpolitischer Prozess gezeichnet, der für die Existenz der Kommune von großer Wichtigkeit ist, da mit dieser gemeinschaftlichen Entscheidung Werte verbunden sind. In ihrer Rede betont sie, dass es historisch bei der Gründung der Genossenschaft gerade um die Freiheit und Unabhängigkeit der Milchbauern ging, um einen Wettbewerbsvorteil, um Verbundenheit und Unterstützung. Als Spiegel vieler Strukturen mit solcherlei Grundideen hat sich über die Jahre ein hierarchisches Machtgefälle in dieser Genossenschaft etabliert. Gleichzeitig war die Genossenschaft ein etablierter Bestandteil ihrer Wirtschaft und hat Scheinabhängigkeiten geschaffen, die innerhalb der Machtstrukturen illusioniert und erhalten wurden.
In einer Rede beschreibt sie genau das, sie wird emotional, und formuliert ein Manifest. Der Weg dorthin war geprägt davon, dass sie Menschen überzeugen musste – sie tingelte mühselig von Tür zu Tür, um die anderen Bauern davon zu überzeugen, dass es keine Alternative zu diesem Neuanfang gibt. Interessant ist der Aspekt, dass die Emotionalität der Rede, und der affektive Bezug auf ihren Ehemann, ein entscheidendes Gewicht für den Verein zu haben scheint.
Ein feministischer Kampf
Inga bewegt sich offensichtlich und vom Regisseur gezielt gesetzt innerhalb männlich geprägter Strukturen. Die benachbarten Höfe werden ausschließlich von Männern geführt, sie sind ihre Gesprächs- und Verhandlungspartner. Gleiches gilt für die Genossenschaft: In diesen Strukturen sind ausschließlich männliche Personen ganz oben in der Hierarchie. Damit wird einerseits ein grundsätzlich feministischer Kampf eröffnet, gleichzeitig präsentiert der Regisseur die Perspektive des Umbruchs von patriarchalen Strukturen durch feministische Machtergreifung und Initiative. Das fällt auf dem ersten Blick gar nicht so auf: Er vermeidet dabei die Klischees, die sich (ungerechtfertigt) hinter dem Stereotypen der „rebellischen, jungen Aktivistin“ verstecken.
Während die Struktur der Genossenschaft deutlich einen Gegenpol stellt, wird keine Einzelperson als simpler Bösewicht gezeichnet. Damit unterstreicht der Regisseur etwas sehr Wichtiges: Strukturelle Ungerechtigkeit ist nicht unbedingt und untrennbar an Einzelpersonen gekoppelt. Sie ist eine Eigenschaft historischer, patriarchaler Machtstrukturen per sé. Dabei wird ebenfalls immer weider betont, dass die Genossenschaft durchaus Ziele verfolgt, die dem Gemeinwohl dienen sollen – doch die Art und Weise ist nicht akzeptabel, und jener Bruch wird als feministischer Kampf gezeichnet. Wir erfahren nicht, ob es funktioniert, und müssen es für eine moralische Bewertung auch nicht wissen.
Fazit
In ihrem Rachefeldzug erinnert die von Arndís Hrönn Egilsdóttir gespielte Inga an die Figur Mildred Hayes, gespielt von Oscarpreisträgerin Francis McDormand in „Three Billboards Outside Ebbing Missouri“, und auch inhaltlich scheinen The County und ebengenannter Film starke Parallelen aufzuweisen. In beiden Fällen wir der feministische Kampf zweier Querschlägerinnen gezeichnet, und beide zielen auf männlich-geprägte, gesellschaftliche Strukturen ab und bedienen sich ähnlicher Methoden.
„Three Billboards Outside Ebbing Missouri“ ist ein herausragender Film – durch eine unbeschreibliche Einzigartigkeit, die sich in Stil, Dialog und induzierter Stimmung verbirgt, werden profunde Gefühle der unkontrollierbaren Ungerechtigkeit, Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Gefühle der Trauer ausgelöst. Der Künstler hat jenes extrahiert, und ein Gemälde mit einer vielfältigen und speziellen Emotionspalette gemalt.
Ganz im Gegensatz dazu präsentiert sich „Milchkrieg in Dalsmynni“: Gerade in dem präsentierten Kampf wünschte man sich, es würden Konventionen nicht nur inhaltlich (an-)gebrochen werden, sondern eine stilistische und dramaturgische Repräsentation finden. Wieso bloß angebrochen?: Sogar in diesem Aspekt fehlt das Sonderbare – der Regisseur zeichnet diese Konzepte, doch denkt sie nicht weiter. Es fehlen die Ecken und Kanten, die tatsächlich einen Funken der Genialität tragen könnten um den Diskurs weiterzudenken und kreativ zu manifestieren. Ein Bruch, etwas, woran man sich nachhaltig erinnern könnte, eben, wie die drei provokanten Werbetafeln von Mildred Heyes in Three Billboards Outside Ebbing Missouri.
Bild: ©Haut et Court aus dem Film „Milchkrieg in Dalsmynni“, Deutscher Kinostart: 09.01.2020