Roma (2018)
Alfonso Cuarón schenkt uns mit „Roma“ (2018) ein Gefühl der Intimität. Verantwortlich für die Regie, das Editing, die Kameraarbeit und die Produktion: Seine ganze Seele scheint in diesem Werk hindurch. Jede Entscheidung erhält dadurch eine beeindruckende Bedeutung. Elemente wurden nicht gewählt, um zu funktionieren – Elemente existieren, weil Cuarón durch diese selbständig spricht und atmet.
Roma ist der Name eines augenscheinlich eher gehobenen Siedlungsgebietes in Mexico City. Dabei handelt es sich um die Heimat des beeindruckenden Filmschaffenden. Es sei zu erwähnen, dass Roma rückwärts – Amor – Liebe im Spanischen bedeutet. Die autobiographischen Aspekte des Werkes wurden in einem Interview mit Alfonso Cuarón in der Vanity Fair ausgearbeitet. Im Mittelpunkt dieser und seiner persönlichen Geschichte steht eine Haushaltshelferin: Aus ihrer Perspektive werden Aspekte des Lebens in einer Klassengesellschaft innerhalb Mexico Citys präzise herausgearbeitet.
“So this is the woman who raised me, it’s my—it’s weird to say surrogate mother because it’s a strange word. Put it this way, that’s the case of so many domestic workers or nannies. They have more presence in your life than sometimes the biological mom.” – Alfonso Cuarón
“Roma” ist überaus langsam, bedient sich zudem an keinerlei Kitsch oder billigen dramaturgischen Mitteln, um Cuarons Geschichte zu erzählen. Es ist einer jener Filme, die uns in ihren Bann ziehen, weil der Filmschaffende ein feines Verständnis über den Menschen präsentiert. Der rote Faden wird in einer komplexen, sensiblen und seelenvollen Reise einer authentischen Lebenswelt gespannt. Er verzichtet darauf, den eigentlichen Kern seiner Erzählung in einen konstruierten, dramatischen Handlungsstrang einzubetten. Bei solch einem Vorgehen handelt es sich um ein gefährliches Unterfangen: Die menschliche Natur ist ein fragiles Konstrukt, ein vorsichtiger, falscher Schritt ist bereits dazu in der Lage, die Glaubwürdigkeit und damit einhergehend die psychologische Bedeutung des Filmes massiv zu behindern. Alfonso Cuarón verwickelt uns jedoch während der gesamten Spieldauer in ein intimes und ehrliches Gespräch.
Das in schwarz-weiß präsentierte Drama besticht dabei nicht nur inhaltlich mit einer differenzierten Auseinandersetzung. Perfektion spiegelt sich insbesondere stilistisch wieder. Cuaróns Bildkompositionen sind an vielen Stellen grandios: Es handelt sich um überzeugende Kunstwerke. Sie tragen eine hohe Bedeutung, transportieren, was Worte alleine nicht vermitteln könnten. Es ist beängstigend, mit welcher Präzision Cuarón in der Lage ist, unsere visuelle Aufmerksamkeit zu lenken. Er gewichtet einzelne Elemente nicht mit dem Fokus der Kamera, sondern mit einem Fokus der Emotionen – welche in einzelnen Momenten in einem drastischen Widerspruch stehen.
Jene Kontrolle ist ein Beleg für die Intimität der präsentierten Gefühlswelten: Wie sonst würde der Filmschaffende mit jener Klarheit die affektive Wirkung des Werkes sowohl inhaltlich als auch stilistisch kontrollieren können. In meinen Augen ist es das erste Mal, dass Alfonso Cuarón sich nicht bloß als überzeugender Filmschaffender präsentiert, sondern als Mensch und Künstler, der uns Bedeutungsvolles zu erzählen hat.
Bild: © Netflix