The House That Jack Built

Lars von Trier entflammte einen Skandal bei einer Pressekonferenz zu seinem Werk „Melancholia“ (2011) im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes. Schon zu Beginn der Beantwortung einer Frage zu seinen deutschen Wurzeln bezeichnet er sich selbst provokant als Nazi: „And then I found out that I was really a Nazi“, und bereits dieser erste Satz findet eine Klimax in folgenden Worten, „which also gave me some pleasure.“ Er führt weiter an, dass er mit seinen Vorfahren mitfühlen, oder in einer stärkeren geladenen Übersetzung gar mit jenen sympathisieren würde (orig: to sympathize). Handelt es sich um präzise gewählte Worte einer kalkulierten PR Maschinerie – schließlich ist auch bad press good press – oder präsentiert er Wirrungen seiner intrinsischen Natur? Vielleicht kommen wir dieser Frage mit der Sichtung seines neusten Werkes „The House That Jack Built“ (2018) ein Stück näher.

This Is Genocide

Bereits die erste Ankündigung zum Film „The House That Jack Built“ (2018) unterstreicht die einzigartige soziale Stellung der Figur Lars von Triers im Filmbusiness. In einem einfachen, schwarzen T-Shirt und einem überdimensionalem weißen Tuch um seine Stirn gewickelt schreitet er ins Bild. Nicht besonders scharf gestellt, ohne Rücksicht auf eine Professionalität der Bildkomposition, offenbart das wahrscheinlich erste und einzige Take:

„Ladies and Gentlemen, allow me to remind you that this year we will be shooting my next feature film ‘The House That Jack Built’. This ain’t rock’n’roll. This is genocide.” – Lars von Trier

Lars von Trier präsentiert in Werken wie “Antichrist” (2009), “Dancer In The Dark” (2000) oder Dogville (2003) eine außerordentliche Brutalität, die verschiedene Erscheinungen annimmt und eine tiefgründig schockierende Wirkung hinterlässt. Während in Werken wie „Antichrist“ (2009) Gewalt offensichtlich ist, schafft er jenes in anderen Werken subtiler: Wenn eine Person erschossen wird, ist dies keine sonderlich gewaltvolle Darstellung in Filmen. In Lars von Triers Werken gehen solche Handlungen mit einer emotionalen Brutalität einher, die für den empathischen Zuschauer überwältigend oder gar überfordernd sein kann.

Darf er das?

In „The House That Jack Built“ verfolgt Lars von Trier weiterhin eine widerliche Sezierung der Brutalität, entzieht sich dabei plakativen sozialen oder ethischen Bewertungen – ausgenommen einer absichtlich übertriebenen Klimax gegen Ende des Filmes. Den Rahmen des gesamten Filmes bildet ein Dialog zwischen einem Serienkiller und einer scheinbar höheren Entität, einer inneren Stimme – mit jener spricht der Serienkiller über seine widerlichen Taten. Insgesamt zeichnet der Serienkiller fünf Beispiele der Tötung, die mit einer ekelerregenden filmischen Präsentation einhergehen. In diesem Sinne handelt es sich um den intensivsten und widerwertigsten Film, den ich je in meinem Leben sehen durfte, zugleich. Szenenbilder bohren sich unwiderruflich ins Gedächtnis und erzeugen eine Art Pseudotrauma.

Darf er das? Lars von Trier ist ein Künstler, der sich widerholt und gekonnt dem Mittel der Entfremdung bedient. Trotz einer subtil getragenen, emotionalen Tiefe der verschiedenen Figuren und Opfer ist er in der Lage, jene in eine andere Sphäre zu bringen. Menschen wirken menschlich, doch als wären sie von einer anderen Welt. Er ist in der Lage jenen Effekt zu erzeugen, indem er bestimmte Figuren in Situationen nicht unbedingt unglaubwürdig, aber höchst unintuitiv handeln lässt. Bestimmte Aussagen wirken so, als wären sie im Dialog nicht natürlich. Dieses spiegelt sich in der stilistischen Ausarbeitung der Szenen wider, die subtile, filmische Normverstoße beinhalten – dies wird jedoch in anderen Filmen wie etwa „Dogville“ deutlicher. Jene Entfremdung bedingt ein feinfühliges Verständnis des Menschen, das Lars von Trier immer wieder präsentiert.

Eine eigenwillige Natur

Aus dieser Technik schöpft Lars von Trier, um Meisterwerke in die Welt zu bringen. Ohne dem beschriebenen Entfremdungsprozess wären die Werke des Künstlers nicht zu ertragen. Die Zeichnung eines authentischen Menschen im Kontext jener Bilder könnte für reale Traumata verantwortlich sein. Durch die präzise Entfremdung jedoch kann Lars von Trier die bedeutungstragende, affektive Reaktion des Zuschauers in extreme Richtungen lenken und nutzen, um damit wohlmöglich die wichtigsten bedeutungstragenden Komponenten jener Taten und Handlungen zu extrahieren.

Lars von Trier ist sich der emotionalen Wirkung seiner Bilder bewusst und bettet sie sorgfältig als tragende Elemente seiner Werke ein. Dies gelingt ihm in „The House That Jack Built“ wieder exzellent. Während es in anderen Werken, wie etwa Antichrist, um einen provozierten Hass entsprungen aus einer eindringlichen Spirale der Depression geht, widmet er sich in diesem Fall anderen Facetten: Der eiskalten Natur eines mordenden Psychopathen.

Eine Offenbarung

Durch diese intensive Erfahrung leitet er den Zuschauer rücksichtsvoll in die unvorstellbaren Gefühlswelten die mit jenen Personen und Erfahrungen einhergehen. Unvorstellbar, weil der Zuschauer solchen Erfahrungen vorher in der Regel nicht ausgesetzt gewesen ist. Insofern handelt es sich um eine geniale Schöpfung des Künstlers: Er bereichert unsere Gefühlswelt mit der Konfrontation mit der eigenen affektiven Reaktion und erschafft damit eine implizite Bewertung des Gezeigten. Er macht unsere Seele zum Spiegel des Filmes und schreibt den Elementen auf diesem Wege Bedeutung zu. Wer sich auf diese Erfahrung einlässt, wird seine eigene Farbpalette an Emotionen erweitern und jene zur Bewertung von Gewaltverbrechen nutzen. Lars von Trier offenbart uns unsere eigenen emotionalen Kapazitäten.

Gleichzeitig offenbart Lars von Trier in „The House That Jack Built“ vieles über seine eigene Person. Der Serienkiller versteht seine Morde in einem Gespräch mit der inneren Stimme als Kunstwerke. In Einschüben erklärt er sein Verständnis über die Kunst. Zum Teil werden jene Ideen mit Szenenbildern aus früheren Werken Von Triers hinterlegt. Die Interpretation eines selbstreflexiven Werkes macht eine Sichtung des Werkes im Zusammenhang mit der Person Lars von Trier äußerst spannend. Durch jene Dialoge strahlt eine Arroganz, die mit der Person Lars von Triers im Einklang steht.

„The House That Jack Built“ ist eine intensive, affektive Erfahrung. Eine Präsentation von Brutalität und Gewalt, die eine durchdringende Kälte trägt. Sie beschreibt eindrucksvoll die Idee der Psychopathie und überträgt die damit einhergenden Emotionen auf uns. Damit handelt es sich um eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Thematik. Eine moralische, inhaltliche Auseinandersetzung ist oberflächlich, unnötig: Dass jene Taten falsch sind, wird jedem Zuschauer bewusst sein. Durch die affektive Provokation ermöglicht Lars von Trier jedoch eine Auseinandersetzung mit einer Ebene, die uns sonst nicht zugänglich wäre. Wer könnte uns besser den Weg in unbekannte und erschreckende Emotionswelten aufzeigen, als ein Mann, der selbst wie von einer anderen Welt zu sein scheint? Ein Meisterwerk.

 

Ab dem 29.11. im Kino.

 

Beitragsbild: 2018 © Concorde Filmverleih GmbH