Die Kinder des Fechters

„Die Kinder des Fechters“ brilliert mit einer authentischen Darstellung der Lehrer-Schüler-Beziehung im Sport und zeichnet jene Dynamik binnen einer misslungenen historisch kritischen Auseinandersetzung mit einer speziellen Epoche sowjetischer Nachkriegszeiten. Es handelt sich dabei um den finnischen Oscarbeitrag im Rennen um den besten fremdsprachigen Film.

Regisseur Klaus Härö macht eines klar: „Geschichten über Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen haben mich immer interessiert“, und weiter: „Das Kernthema von [Die Kinder des Fechters] ist die Rolle von Erwachsenen im Leben von Kindern, wie Kinder und ihre Wünsche von Erwachsenen wahrgenommen werden, und wie diese die Kinder in die richtige Richtung lenken können. (…) Fast jeder von uns kann sich an einen Erwachsenen in seiner Kindheit erinnern, dessen Anwesenheit oder Worte zur richtigen Zeit uns inspiriert, oder uns den notwendigen Schups in die richtige Richtung gegeben haben um unsere Träume zu realisieren oder unseren Traumjob nicht aufzugeben“

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„[Der] Film beginnt mit einem stillen Mann, der Kindern das Fechten beibringt.“, so der Regisseur – und natürlich muss dieser stille Mann in eine entsprechende Position gebracht werden, um Ansatzpunkte für Atmosphäre und Dramaturgie zu setzen. Der introvertierte Protagonist und  talentierte Fechter Endel findet sich in einem kleinen Kaff in Estland wieder – denn er ist auf der Flucht: Seine Vergangenheit macht ihn zum Ziel der sowjetischen Geheimdienste. Soviel zum Inhalt.

Im Prinzip würde das schon reichen, um einen schnellen und spannenden Thriller einzuleiten – doch Härö wählt einen anderen Weg, einen ruhigeren, und nutzt diesen Hintergrund um unseren Protagonisten zu charakterisieren und Beweggründe für sein Handeln anzuführen. Härös Bilder wirken, da er ihnen Zeit lässt und vielmehr eine innere Ruhe verleiht, womit er sie in die Lage versetzt, eine emotionale und bedeutungstragende Wirkung zu entfalten. Diese Zurückhaltung findet sich desweiteren in der Dialoggestaltung und spiegelt sich im Schnitt und der Erzählstruktur wider. Einzig die (insgesamt doch sehr schöne) musikalische Untermalung drängt den Zuschauer hin und wieder zu deutlich in gewisse Richtungen und schwächt damit die Gesamtwirkung der vielen fabelhaft komponierten Szenen, da sie diese wortwörtlich überschattet.

Wer mich kennt, weiß, dass ich ruhige Filme liebe – und man würde aufgrund meiner bisherigen Ausführungen meinen, dass dieser Film alles richtig machen würde. Die insgesamt gut geschriebenen Charaktere funktionieren, denn sie offenbaren mit einer zurückhaltenden Natürlichkeit ein unglaubliches Verständnis des Regisseurs von der menschlichen Natur. Selten gelingt ein so authentisches Abbild des Wesens von Kindern. In diesem Fall ist es jedoch mehr als das: Härö zeichnet eine überzeugende Entwicklung der Beziehung eines Lehrers und seinen jungen Schülern auf eine Art und Weise, die den Zuschauer zum Nachdenken bringen wird. Härö erreicht damit sein Ziel, und zwar präzise: Verantwortung  und Einfluss von Erwachsenen als Inspirationsfiguren und prägende Wegweiser der Entwicklung von Kindern zu präsentieren – Wünsche, Träume und Motive zu erzeugen, zu erhalten und zu stärken.

Außerdem ist „Die Kinder des Fechters“ ein fantastischer Sportfilm. Er erinnert mich an meine Zeiten als aktiver Jugendsportler  und fasziniert nicht nur mit einer authentischen Darstellung der Entwicklungen während der Vorbereitung und der Teilnahme an Wettbewerben, sondern darüberhinausgehend mit den Gefühlen, die damit in Verbindung stehen: Das Gefühl auf der Fahrt zur Spielstätte; die Freude, während der Kadernominierung; die offizielle Begrüßung von Teilnehmern; die Spannung während der einzelnen Wettkämpfe und sogar dem Gefühl, das entsteht, wenn wichtige Vertrauenspersonen plötzlich nicht mehr hinter einem stehen und zusehen. „Die Kinder des Fechters“ sorgt damit für Gänsehautmomente und schafft dies mit einer realistischen Darstellung statt des Griffes in die Klischeekiste. Aber so viel: Über das Ende lässt sich diesbezüglich streiten. Leider jedoch nicht auf der historisch-kritischen Seite der Medaille.

Keine Frage: „Die Kinder des Fechters“ macht vieles richtig. Meine bisherigen Ausführungen beziehen sich jedoch nicht auf die historische Auseinandersetzung – hier begeht Härö einen drastischen Fehler und lässt sich von der Möglichkeit durch die politischen Voraussetzungen jener kritischen Zeit verleiten und dramatisiert damit das Werk auf eine Art, die nicht im Einklang mit der sonst so wunderbaren Umsetzung dieser Geschichte steht. Plötzlich macht Härö es sich einfach und zeichnet einfache Gegenspieler, die überaus berechenbar und klischeehaft handeln, einseitig charakterisiert sind und einer differenzierten und authentischen Darstellung des Regimes nicht gerecht werden – einfach nur, damit der Film irgendwie dramatischer wirkt. Damit etwas „passiert“, würden einige sagen.

Die emotionale Wirkung lebt nichtsdestotrotz von ebenjenen Konflikten, mit welchen unser Protagonist umgehen muss – und gerade deswegen erhalten seine Entscheidungen ein immenses Gewicht und die sehr gute Zeichnung der Person erlaubt dies trotz etwaiger Schwächen. Dazu kommt unglücklicherweise, dass der  Film mit ebendieser gescheiterten Konstruktion des politischen Konflikts und der Positionierung des Protagonisten in diesem beginnt – der Eingang ist hölzern, Spannungsmomente wirken deswegen übermäßig konstruiert, und alles, was damit nicht in Verbindung steht, ist klasse. Selten habe ich erlebt, dass verschiedene, verwobene Handlungsstränge eines Filmes von solch unterschiedlicherer Qualität sind. Trotz allem handelt es sich um einen absolut sehenswerten Film.

„Ich hatte Lehrer, die mich ermutigten, Filme zu machen, und ich denke, dass ich ohne ihre Hilfe heute kein Regisseur wäre.“ – Klaus Härö

Alle Zitate wurden der „Notiz des Regisseurs“  aus dem vom Zorro Film Verleih herausgegebenen Presseheft entnommen.

 

Bild aus: „Die Kinder des Fechters“, 2015, © Zorro Filmverleih

 

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