Climax

Viel zu oft werden Filme mit den immer gleichen Begriffen und Phrasen beschrieben, welche die meisten nicht verdient haben.
Ein „Erlebnis“ sei der Kinobesuch gewesen, eine „Achterbahn der Gefühle“. Der Film habe einen „gepackt“. Leider entwertet der inflationäre Gebrauch dieser Redewendungen eben diese. So muss man in Momenten, in denen sie wirklich angebracht wären, auf ausschweifendere Formulierungen zurückgreifen. Climax bietet den Anlass, dies zu tun. Zwar fiel auch ich in meiner ersten Reaktion auf die oben genannten inhaltsleeren Worthülsen zurück, doch das Verlangen, meine Euphorie über das Gesehene schnellstmöglich in die Welt hinauszubrüllen, war zu schlicht zu groß. Auch, wenn meine Meinung zu Climax damit mehr als deutlich werden sollte und die Kritik hier enden könnte, möchte ich meine Gedanken im Folgenden etwas weiter ausführen.

Der Skandalregisseur lädt zur Party

Gaspar Noé hat sich seinen Ruf als Macher kontroverser Filme hart verdient. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte er mit Love den er selbst schrieb und inszenierte. Gegen die Kameralinse spritzendes Sperma und andere Obszönitäten, alles gefilmt in 3D, sorgten bei der Premiere in Cannes 2015 für eine Eruption der Empörung und sehr gemischte Reaktionen seitens der Kritiker. Auch Climax feierte seine Premiere wieder auf den prestigeträchtigen Filmfestspielen in Cannes. Statt die Kritiker zu spalten, löste der Film jedoch generelle Begeisterung aus.

Climax erzählt die Geschichte einer Feier, welche eine Gruppe von Hip-Hop Tänzern nach einer gelungenen Probe veranstaltet. Im Verlaufe des Abends steigt die Stimmung, angeregt durch Lust und Drogen immer weiter. So minimalistisch der Plot des Films klingt, so minimalistisch ist er auch. Noé verzichtet ganz bewusst auf eine komplexe Handlung oder, abseits Sofie Boutellas  (Kingsman: The Secret Service), bekannte Schauspieler. Im Vordergrund stehen die Ästhetik und der Rausch. Ebenso wie die Protagonisten selbst, zieht der Regisseur den Zuschauer immer tiefer in die Hölle hinein. Aus Euphorie wird Ekstase, aus Ekstase wird Wahnsinn.

Dabei beginnt alles noch recht unspektakulär. Auf eine kurze Introsequenz und den Abspann, richtig gelesen, der Abspann des Filmes befindet sich am Anfang desselben, verharrt die Kamera starr auf einem alten Röhrenfernseher. Während harmlose Szenen aus Interviews mit den Charakteren über den Bildschirm flackern in welchen diese über ihr Leben und ihre Leidenschaft, das Tanzen, erzählen, hat der Zuschauer Zeit die den Fernseher umrahmenden Videokassetten zu betrachten. Die Hüllen von Filmklassikern wie Suspiria (1977) kündigen hier bereits das absolute Grauen an, das den Zuschauer  erwartet.

„Dieser Film ist stolz darauf französisch zu sein.“

Mit diesem Titel leitet Noé die nächste Phase seines Filmes ein. Aus den Lautsprechern beginnen die Beats zu dröhnen und untermalen eine Plansequenz, die andere Filmschaffende vor Neid erblassen lässt. Immer wieder greift der Regisseur auf dieses Stilmittel zurück und lässt stets den Zuschauer an den Empfindungen der Charaktere teilhaben, auch abseits der Plansequenzen. Er schüttelt, schwenkt und dreht die Kamera, wortwörtlich bis zur Übelkeit. Hier finden Form und Inhalt des Filmes in Perfektion zusammen, ohne dass dies einen prätentiösen oder aufgesetzten Eindruck macht.

Während Wahnsinn und Grauen immer mehr von der Feier der Tänzerinnen und Tänzer Besitz ergreifen, schafft es Gaspar Noé, uns zwar die Schrecken des Rausches in all ihrer brutalen Nacktheit zu zeigen, dabei jedoch nie die Ästhetik dieses aus den Augen zu verlieren. Drogengleich verzücken Farbenspiel und Kamerabewegung immer wieder, ziehen einen zurück in ihren Bann, nur um einem kurze Zeit später wieder den Magen umzudrehen. Diese Einzigartigkeit des Drogenrauschs präsentiert der Regisseur hier in technisch perfekter Art und ohne jegliche Scham.Vermutlich längst daran gewöhnt, dass seine Werke als obszön oder abstoßend bezeichnet werden, präsentiert er hier kompromisslos seine Vision.

Wer dem Film eine fehlende Handlung oder einen Mangel an Inhalt und Substanz vorwirft, versteht ihn falsch.  Nur durch die minimalistische Handlung kann der Film funktionieren, nur durch seine Ästhetisierung des Archaischen entfaltet er seine eigentliche Substanz. Nur so kann er zu einem ambivalenten, transzendenten Blick in die Hölle werden.

Fazit – Climax

Faszinierend, verstörend, elektrisierend, erschöpfend. Wie kein anderer Film des Jahres 2018 ignoriert Climax narrative Konventionen und schafft gleichzeitig ein einzigartiges Erlebnis, dessen Ästhetik begeistert und erschreckt.

 

Ab dem 6.12. im Kino

 

Beitragsbild: © Alamode Film