Much Loved

In „Much Loved“ wird das Porträt der Prostitution mit einer ungeheuren Nüchternheit gezeichnet. Die Konfrontation ist derbe und emotional – und sie spielt im islamgeprägten Marokko. Regisseur Nabil Ayouch setzt sich das Ziel die Diskussion im marokkanischen Raum voranzutreiben. Als Folge erhielt Hauptdarstellerin Loubna Abidar Todesdrohungen und wurde zur Flucht nach Frankreich gezwungen.

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Laut Pressemitteilungen wurde „Much Loved“ von der marokkanischen Regierung offiziell verboten. Der Film sei verachtend gegenüber moralischen Werten und marokkanischen Frauen. Im Fokus steht, das eigene Gesicht zu wahren: Mit „Much Loved“ fallen nicht nur romantische Vorurteile der westlichen Wertegemeinschaft. Schon der erste Dialog präsentiert die sittenwidrigen Gesprächsthemen der jungen Damen, die sich offenkundig für die nächste Orgie bereit machen. Regisseur Nabil Ayouch setzt dabei ganz bewusst auf die Aussagestärke einer natürlichen Darstellung.

Ayouch versteckt seine Charaktere nicht hinter einer Fassade der Poesie, die sich in Inhalt und Sprache finden könnte. Er präsentiert den Alltag der Figuren und strickt ein herkömmliches, aber ganz und gar authentisches Drama. Er verzichtet darauf, seinen Bildkompositionen einen übernatürlichen Anstrich zu verleihen. Darin liegt der wertvolle künstlerische Eingriff des talentierten Filmschaffenden, denn er präsentiert damit vollkommene Klarheit über seine Argumentationsstruktur. Für die wertkonservative, marokkanische Regierung, die jene Problematiken anscheinend schlicht ausblenden möchte, wirkt dies wie ein Schlag ins Gesicht. Regisseur Nabil Ayouch setzt ein Statement. Die Zensur unterstreicht, dass dieses Statement gelungen ist.

„I have dignitiy! And you have humiliated me.“ – Aus Much Loved

Handwerklich ist an „Much Loved“ wenig auszusetzen. Das Ensemble bietet ein außerordentlich gelungenes Schauspiel, das eine organische Erzählung zulässt und darüberhinaus entscheidend zur realistischen Wirkung beiträgt. Es entwickeln sich spannende zwischenmenschliche Konflikte, die das emotionale Fundament der Geschichte tragen.

Den Kern der Geschichte bilden drei junge Damen, die durch Prostitution ihren Lebensunterhalt verdienen. Eine von ihnen versorgt mit dem Geld ihre Kinder, die bei ihrer Mutter wohnen. Ihre Mutter verabscheut sie jedoch für ihre Tätigkeit, ihre Kinder zeigen keine Dankbarkeit. Eine weitere hadert an der eigenen sexuellen Identität: Als Mitglied des Haushalts begleitet sie die anderen zu den Orgien, weist männliche Interessenten jedoch ab. Es stellt sich heraus, dass sie lesbisch ist. Die Dritte findet heraus, dass ihr Freier ausschließlich ein sexuelles Interesse an anderen Männern hat. Als sie ihn damit konfrontiert, weil sie sich deswegen in ihrer Würde verletzt fühlt, rastet er aus. Letztendlich wird der Film glänzend von der Harmonie des Zusammenspiels der Frauen getragen.

Der gezielte und gekonnte Einsatz seiner Werkzeuge spiegelt das Talent des Regisseurs wider. Doch hat dieser Film wegen ebendieser konsequenten Linie ein großes Problem: Über das politische Statement hinaus leistet der Künstler keinen einzigartigen Beitrag. Aus dieser Perspektive könnte der Film uninteressant erscheinen. Keine Einstellung oder Szene wird einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen können. Der politische Kontext belebt den Film, herausragende Leistungen der Schauspielerinnen und ein gelungenes Drehbuch geben ihn Raum zum Atmen, es fehlt jedoch letztendlich der außerordentliche, kreative Eingriff, der „Much Loved“ als Kunstwerk definieren würde.

In „Much Loved“ präsentiert Regisseur Nabil Ayouch ein nüchternes Abbild der Realität und nutzt dieses geschickt, um die Fassaden romantischer Vorstellungen einzureißen. Das Statement ist weitestgehend gelungen. Gleichzeitig fehlt jedoch für den Anstoß einer internationalen Auseinandersetzung das geniale Moment.
3 von 5

Bild: Szenenbild aus „Much Loved“ (2015), © ARSENAL Filmverleih GmbH 

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