Raum
„The world’s like all TV planets on at the same time, so I don’t know which way to look and listen.“ – Jack
„Raum“ brilliert mit der Darstellung des kindlichen Geistes. Regisseur Lenny Abrahamson nutzt den Entzug der Freiheit, um die feine Linie zu zeichnen, die das erfüllte Leben vom nackten Überleben trennt.
Joy – gespielt von Oscargewinnerin Brie Larson – ist seit sieben Jahren in Gefangenschaft. Seit fünf Jahren ist die junge Frau Mutter von Jack. Gemeinsam leben sie eben in einem Raum. Der regelmäßige Besuch des Entführers Old Nick ist der einzige Bruch der ansonsten isolierten Lebenssituation: Hier erblüht das Wunder des intimen Verhältnisses von Mutter und Kind. Meisterhaftes gelingt den Filmschaffenden jedoch, weil wir den Raum aus den Augen des Kindes erleben.
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Ganz ähnlich wie der Raum Jack eine isolierte Lebenssituation stellt, bieten Filme einen zeitlich und räumlich begrenzten Erfahrungsraum, welcher ganz im Gegensatz zur Realität nicht veränderbar ist. Filme werden uns als passiven Beobachtern vor Augen geführt: Ist ein Film interessant, hängt dies mit neuartigen Ideen des Filmschaffenden zusammen. Damit sind Konzepte gemeint, die auf eine Art und Weise beleuchtet werden, die von einem tiefgründigen, nicht-objektivierbaren Verständnis des Künstlers zeugt. Er scheint einen einzigartigen Zugang zur Welt gefunden zu haben und ist zudem in der Lage, diesen mit der Sprache der Filmkunst zu vermitteln.
Regisseur Lenny Abrahamson jedoch weiß diese Aussagen ganz und gar überzeugend zu relativieren, und bedient sich dazu lediglich unserer Vergangenheit: Kind war schließlich jeder. Das Geniale ist, dass der Raum vollkommen ausreicht, um als Quelle der Kreativität den Gedankenfluss von Jack zu stimulieren. Die Perspektive des Kindes auf seine Lebenssituation, die schließlich seine gesamte Erfahrungswelt ausmacht, zeugt von einem tiefgreifenden Verständnis für den kindlichen, naiven Geist. Jack erlebt den Raum. Ausschließlich den Raum. Der Raum ist interessant, weil Jack ihn aus seiner eigenen Perspektive mit Ideen bereichert und das, obwohl der Raum weitestgehend unverändert bleibt. Aus der Rolle des passiven Beobachters wird ein aktiver Schöpfer.
So wie Regisseur Lee Unrkich mit Toy Story 3 oder Richard Linklater mit Boyhood ist Abrahamson in der Lage, uns Konzepte des Kindsein überzeugend vor Augen zu führen. Wir fühlen, dass der Regisseur etwas verstanden hat. Und zwar: Uns. Und das, obwohl es sich ganz und gar nicht um eine normale Kindheit handelt, doch gerade deshalb konnte das Wesen des Kindes brillant herausgearbeitet werden. Der Film wird vom Wunderkind getragen – und damit ist das universelle Wunder des menschlichen Kindes im Allgemeinen gemeint. Dies findet eine inhaltliche Entsprechung in den Aussagen der Mutter Joy: aus Überleben wurde Leben. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist derart tiefgreifend und definierend für das menschliche Wesen, das die Gefangenschaft letztlich in den Hintergrund gerät. Der bedeutungstragende Kern der Geschichte liegt in ebendieser Schöpfung des kindlichen Geistes und der Liebe von Mutter und Kind.
Die Möglichkeit, der eigenen Realität eine Richtung zu verleihen, ist das Wesen unserer Freiheit. Auch steht die Filmkunst mit ihren inzwischen grenzenlosen Möglichkeiten für die Freiheit. Freiheit und Kreativität sind nicht etwa bedeutend für das Überleben, jedoch bemerkenswerte Säulen des Lebens, und damit des Menschseins. Wie, wenn nicht durch den Entzug der Freiheit, lassen sich die Konzepte des Lebens geschickter herausstellen. Im Film „Raum“ wurde die Lebensrealität einer jungen Frau weitestgehend genommen. Regisseur Lenny Abrahamson nutzt jenen Entzug der Freiheit, um die Schaffenskraft des menschlichen Geistes aus der Perspektive eines Kindes herauszuarbeiten. Er nutzt diese, um die bedeutungsvolle, intime Beziehung von Mutter und Kind zu beleben und damit das Menschsein zu definieren. Das ist ihm in Perfektion gelungen.
Bild: Entnommen aus dem Trailer von „Raum“ © 2016 Universal Pictures International