Widows – Tödliche Witwen (2018)

„Widows – Tödliche Witwen“ (2018) betitelt den vierten Spielfilm des Regisseurs Steve McQueen. Einer breiteren Masse wurde der Regisseur durch die Oscarprämierung des Sklavendramas „12 Years A Slave“ (2013) bekannt. Bei dem aktuellen Werk handelt es sich um einen Thriller. Im Mittelpunkt steht die von Viola Davis (Fences, 2016) gespielte Veronica Rawlin: Nach einem gescheiterten Raubüberfall ihres Ehemannes steht sie in der Schusslinie von kriminellen Gläubigern – die Schulden des Mannes betrugen zwei Millionen, sie solle ihr Eigentum liquidieren, sonst…

Drei Schritte vor…

Man möchte meinen, eine bestimmte Entwicklung des Regisseurs zu beobachten: Mit einer steigenden Popularität und damit einhergehend größerem Budget orientiert sich der Künstler an konventionelleren dramaturgischen Aufbauten. Sein Regiedebut „Hunger“ (2008)  besticht mit seiner Darstellung des von IRA-Mitglied Bobby Sands ausgerufenen Hungerstreiks im nordirischen Maze-Gefängnis. Jenes Werk wird durch eine gewisse Risikobereitschaft des Regisseurs befeuert. Eine andauernde Szene, welche die Reinigung eines Raumes mit einem Wischmob zeigt, demonstriert eindrucksvoll seine kreativen Ideen, die er nutzt, um bestimmte Stimmungen zu etablieren – durchaus ist er dabei hier und da ein Stück zu weit gegangen. Steve McQueen bricht Kovnentionen, indem bestimmte dramatische Situationen über einen verhältnismäßig sehr langen Zeitraum präsentiert werden, und experimentiert damit mit der Wirkung jener Bilder.

In „Hunger“ (2008) hat Steve McQueen weitestgehend mit der Psyche des Zuschauers selbst gespielt, indem die Wirkung einer atemberaubenden Demonstration eingefangen und affektiv aufbereitet wurde – in „Shame“ (2011) widmet McQueen sich jedoch tatsächlich tiefergehend einer Auseinandersetzung mit der psychischen Komplexitäten einer sexsüchtigen Person. Es wird deutlich, dass es sich nun um einen weitaus erfahreneren Filmemacher handelt, welcher seine Mittel präziser nutzt.

„12 Years A Slave“ (2013) bezeichnet letztendlich den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere: Einen Oscar hat Steve McQueen erhalten, weil er Inhalt und typische Stilmittel perfekt kombiniert, um nicht bloß interessante Stimmungen zu etablieren, sondern um emotionale Höhepunkte zu schaffen. Interessanterweise wird er zurückhaltender, setzt jedoch gezielte, drastische Stiche, wenn es um unkonventionelle Stilmittel geht. Dramaturgisch richtet er sich an einem klassischeren Aufbau.

…und einen Schritt zu weit.

Bei seinem aktuellen Werk handelt es sich um eine Präsentation von Powerfrauen: Mir ist kein Thriller bekannt, in dem Frauen – und insbesondere eine einzelne afro-amerikanische Frau – eine solch starke Rolle in einem typisch-inszenierten Actionfilm einnehmen. Es lässt sich daraus das Motiv des Regisseurs herleiten; bricht er in diesem Fall aus schon längst überfälligen Konventionen und lässt dabei keinen Raum für Interpretationen: Es funktioniert, überzeugend.

Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen – handwerklich grandiosen und überaus spannenden -, aber konventionellen Thriller. Elemente des Genres hat Steve McQueen auf höchstem Niveau integrieren können. Doch fraglich ist, was der zusätzliche Beitrag des Künstlers ist, um sich stilistisch abzusetzen. Man möchte meinen, dass diese Frage bereits beantwortet wurde – die Integration von starken Powerfrauen.

Die Betonung liegt auf herkömmlich.

Was die früheren Werke von Steve McQueen ausmacht, ist, dass sie in der Lage sind, einzigartige Stimmungen zu etablieren. Dafür nutzte Steve McQueen unkonventionelle Stilmittel, wozu beispielsweise extrem lange Einzelszenen gehören: Spannung wird so bereits in der Form erzeugt. Steve McQueen war so in der Lage, wesentliche Emotionen und Assoziationen einer Thematik zu extrahieren – und sie im Inneren der Zuschauer selbst aufleben zu lassen. Bei „Widows – Tödliche Witwen“ handelt es sich bei diesen Punkten jedoch eher um einen herkömmlichen Thriller, der zudem handwerklich und inszenatorisch eine Wucht ist – von einer grandiosen Leistung von Viola Davis abgesehen.

Dennoch fehlt Steve McQueen: Aus seinen vorigen Werken strömen Gedanken, die in der gesamten Form zum Ausdruck kommen. Diese produzieren einerseits einen beeindruckenden, kurzfristigen Affekt als auch einen nachhaltigen Eindruck. Gefühle und Ideen, die er in seinen Werken geradezu definiert hat: Referenzwerke zur Beschreibung von Stimmungen und Emotionen – das kann „Widows – Tödliche Witwen“ leider nicht bieten. Letztendlich wird man das Kino überaus zufrieden verlassen, auf so vielen Ebenen brilliert dieses Werk und könnte sich zum Genreklassiker avancieren. Steve McQueen ist erwachsen geworden: Gerne würde ich erleben, dass er in seinem nächsten Werken wieder frei erzählt und seine junge Risikobereitschaft zum tragen kommt.

 

Ab dem 6.12. im Kino

 

Beitragsbild: © Twentieth Century Fox of Germany GmbH