Loro – Die Verführten
Der Kampf um den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film scheint ein Wettbewerb zwischen alten Vertrauten zu werden. Nicht nur Deutschland und Polen schicken das neue Werk eines bisherigen Erfolgsträgers ins Rennen, sondern auch Italien. Paolo Sorrentino, der bereits mit La Grande Bellezza – Die große Schönheit den Preis gewinnen konnte, versucht dies mit Loro – Die Verführten nun noch einmal.
Nicht nur vor dem Hintergrund der Rezeption seiner nach dem Sieg enstandenen Werke eine zweifelhafte Entscheidung. So fiel die Reaktionen zu Ewige Jugend und der Serie The Young Pope Kritiker wesentlich verhaltener aus als noch bei La Grande Bellezza. Vor allem aber stimmte ein Aspekt mich vor der Sichtung von Loro kritisch: Eigentlich handelt es sich bei diesem nämlich um ein Gesamtwerk aus zwei Filmen. Loro 1 und Loro 2 dauern jeweils über 100 Minuten. Um eine Berücksichtigung bei der Oscarverleihung im kommenden Jahr zu ermöglichen, wurden beide zusammengeschnitten. Mit einer Lauflänge von 145 Minuten fehlt Loro – Die Verführten nun fast eine Stunde ursprünglich vorgesehenen Filmmaterials.
The Wolf Of Wall Street
Auch ohne Loro 1 und Loro 2 gesehen zu haben, fällt die klare Zweiteilung des Gesamtwerks auf. So liegt der Fokus der ersten Hälfte überwiegend auf dem Jungunternehmer Sergio. Dieser nutzt junge Escort-Damen, um lokale Politiker zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Doch Sergio, ein fiktiver Charakter, will mehr. Raus aus dem Ort, den er als Kaff empfindet, zieht es ihn nach Rom. Dorthin, wo die wahre Macht wartet. Er will Kontakt zu Silvio Berlusconi bekommen und Europaabgeordneter werden. Zu diesem Zweck erwirbt Sergio eine dem Anwesen Berlusconis nahegelegene Villa. Dort bringt er junge, aufstrebende und vor allem gutaussehende Frauen unter. Gemeinsam mit ihnen feiert er regelmäßig ausgelassene Partys, um die Aufmerksamkeit des Ministerpräsidenten zu erlangen.
Der Film präsentiert diese Exzesse in expliziter, beinahe pornographischer Weise. Nicht selten fühlt man sich bei deren Inszenierung an Musikvideos der 2000er erinnert. Nicht zufällig nutzt Sorrentino als Soundtrack für diese Szenen bekannte Partyhits der Dekade.
Doch, ähnlich wie Sergio lange daran scheitert, die Aufmerksamkeit Berlusconis zu gewinnen, scheitert der Film hier daran, den Zuschauer zu fesseln. Während es Scorsese in The Wolf Of Wall Street gelang, Exzess und Ekstase für den Zuschauer unterhaltsam zu inszenieren, ihn die Verführung fühlen zu lassen, langweilt Loro – Die Verführten nur. Sorrentino scheint nicht zu wissen, wie er den Exzess abseits des Pornographischen für den Zuschauer verbildlichen soll. Dies wiederum nutzt sich als Stilmittel rasch ab und so wirkt die dauerhafte Feierei ermüdend. Der Begriff pornographisch ist somit, anders als bei einigen italienischen Kritikern, keineswegs als Auftreten eines Tabubruchs zu werten, im Gegenteil. Wirkliche Tabubrüche fehlen. Der bis zur Langeweile zur Schau gestellten Nacktheit können höchstens Pubertierende etwas abgewinnen.
Silvio
Ab dem Zeitpunkt jedoch, wenn Berlusconi die Bühne betritt, beginnt der Film unterhaltsam zu werden. Toni Servillo, der schon in La Grande Bellezza die Hauptrolle spielte, gelingt es, die beinahe überlebensgroße Figur des Silvio Berlusconi auszufüllen. Mit seinem dreisten und zugleich auf Unschuld plädierenden Dauergrinsen wie auch seiner Körperhaltung und Bewegungen gelingt ihm etwas Faszinierendes. Während seine Darstellung den unterhaltsamen Charakter einer überzeichneten Karikatur aufweist, legt sie gleichzeitig die tiefe Verletzlichkeit des Menschen hinter der Maske frei. Auf der einen Seite amüsiert Berlusconi, auf der anderen Seite widern er und sein stetes Grinsen in vielen Situationen an.
Zusätzlich jedoch beginnt man ihn durch seine Beziehungen zu anderen, besonders seiner Ehefrau und einzelnen Bürgern Italiens, als Menschen zu verstehen und sogar mit ihm zu fühlen. Diese Ambivalenz der Beziehung zwischen ihm und dem einzelnen Zuschauer, die der Film herstellt stellt angesichts der Kontroversität Silvio Berlusconis eine der zentralen Leistungen des Filmes dar. Er beschönigt oder verschweigt dessen Taten nicht, aber er verzichtet auch darauf ihn als Person zu verteufeln. Er zeichnet ihn als Menschen.
Loro – Fazit
Gleichzeitig weist der Film jedoch auch nach dem Auftreten Berlusconis zahlreiche Schwächen auf. Nicht nur, dass verglichen mit Berlusconis Handlungsstrang alle anderen verblassen. Dem Film missglückt die Verknüpfung unterschiedlicher Stränge miteinander. Einige verlaufen im Nichts, zunächst wichtig scheinende Nebenfiguren tauchen nie wieder auf. Diese Probleme mögen der Fusion zweier Einzelfilme zu einem Werk geschuldet sein. Andere wird jedoch auch das Schauen der beiden Einzelteile nicht beheben können. Die Dialoge sind oft von mäßiger Qualität, weshalb die meisten Szenen, in denen Berlusconi nicht vorkommt oder zumindest nackte Menschen vor die Kamera springen, kaum Interesse wecken. So bleibt Loro – Die Verführten ein interessantes Portrait über Berlusconi, eingebettet in einen mäßig geschriebenen, aus zwei Einzelstücken schlecht zusammengeschnittenen Gesamtfilm.
Ab dem 15.11. im Kino.
Beitragsbild: © 2018 Gianni-Fiorito DCM